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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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sich inzwischen an die Mengen gewöhnt hatte, die in Goa üblicherweise serviert wurden. Von seinem bescheidenen Mittagessen allein wären mindestens vier Erwachsene satt geworden, und was er nun auf dem Tisch sah, reichte für eine ganze Kompanie ausgehungerter Männer. Er langte tüchtig zu und genoss die Schärfe des Essens genauso sehr wie den Blick Senhor Furtados. Sein Gastgeber freute sich, dass es ihm schmeckte.
    Sie unterhielten sich über das Geschäft, vor allem über den Preisverfall von Gewürzen in Europa, der durch die wachsende holländische Konkurrenz ausgelöst worden war. Dennoch deutete Miguel Furtado gegenüber mit keiner Silbe seine Geschäftsidee an. Zwar hätte ihn die Meinung des Älteren durchaus interessiert, aber er würde sich ihm erst offenbaren, wenn zuvor alle Beschuldigungen und Zweifel aus der Welt geschafft wären. Und über dieses leidige Thema wollte Miguel jetzt nicht sprechen, nicht im Haus des Mannes, der ihm eine solche Gastfreundschaft erwies. Darüber sollten sie lieber auf neutralem Terrain reden – und auch erst, wenn Miguel weitere Nachforschungen angestellt hätte. In der nächsten Woche wollte er sich mit dem Gewürzanbau vertraut machen, unter Umständen würde er dabei auf weitere Möglichkeiten stoßen, an welchem Punkt der langen Reise eines Pfefferkorns – es lagen schließlich viele Etappen zwischen der Ernte bis hin zum Lagerhaus in Lissabon – ein Betrug beziehungsweise Diebstahl möglich wäre.
    Um das Gespräch auf weniger heikle Themen zu lenken, berichtete Miguel von seinem Spaziergang durch die Stadt, und wie nebenbei erwähnte er auch, dass er Dona Ambas Sänfte gesehen hatte.
    »Schlagt Euch diese Dame aus dem Kopf«, riet Furtado.
    »Sie weckt ja nicht nur meine Neugier. Begehrt Ihr nicht auch zu wissen, wer sie ist?«
    »Nur weil sie einen Schleier trägt?«
    »Unter anderem. Natürlich wüsste ich gern, was sich unter diesem Schleier verbirgt. Aber ihr ganzes Wesen scheint mir von einem Geheimnis umgeben zu sein, das meine Phantasie anregt. Was wisst Ihr noch über sie?«
    »Nur das, was ich Euch bereits erzählt habe. Sie lebt sehr zurückgezogen auf der Nordseite des Mandovi-Flusses. Sie ist vermögend. Sie scheut die Gesellschaft anderer Menschen. Und wahrscheinlich hat sie einen guten Grund dafür. Ich denke, das sollte man respektieren.«
    »Glaubt Ihr, dass ihr Gesicht entstellt ist und sie sich deshalb verkriecht?«
    »Ich glaube gar nichts. Es ist mir gleich, ob sie eine blendende Schönheit ist oder eine Missgeburt. Sie wird ihre Gründe haben. Vielleicht«, und hier schenkte Furtado seinem Gast ein leicht hämisches Grinsen, »wartet sie auf die Rückkehr ihres Gemahls.«
    »Ihres Gemahls? Aber habt Ihr nicht …«
    »Nein. Weder ich noch sonst irgendjemand kann Euch sagen, ob Dona Amba verheiratet, verwitwet oder ledig ist. Also würde ich an Eurer Stelle davon ausgehen, dass sie einen Mann hat. Wir haben sie zwar nie gesehen, aber ihre Körperhaltung und ihre Stimme lassen vermuten, dass sie älter ist als 15  Jahre. Und in Indien sind alle Frauen über 15 verheiratet. Es sei denn, sie wären schwer entstellt. Oder sie wären Kurtisanen.«
    Diese Möglichkeit hatte Miguel nie in Betracht gezogen. Er schalt sich einen verblendeten Dummkopf, dem alle Märchen, die über Indien kursierten, den Verstand vernebelt hatten. Nur weil er die Bilder von der unermesslichen Pracht an den Höfen der Maharadschas und die von unvorstellbar schönen Frauen vor Augen hatte, hieß das noch lange nicht, dass Dona Amba ins Reich dieser Phantasien gehörte. Vermutlich sah sie durchschnittlich aus und war ein langweiliges, dummes Geschöpf, das träge im Opiumrausch vor sich hin vegetierte, während ihr Gemahl monate- oder gar jahrelang auf Reisen war.
    Nach dem Essen zog Miguel sich zurück. Der Tag hatte ihn ermüdet, das Gespräch mit Furtado desillusioniert. Nichts schien ihm verlockender als das schöne, bequeme Bett, das im Gästezimmer der Furtados für ihn bereitstand. Er hoffte, dass sein früher Abschied seine Gastgeber nicht beleidigte. Ach was, sagte er sich, vermutlich waren auch sie froh, wenn sie nicht noch mit dem jungen Herrn Konversation machen mussten.
    Er scheuchte alle Dienstboten fort, bevor er sich seiner Kleidung entledigte und sich aufs Bett legte. Die Arme unter dem Kopf verschränkt, blickte er zur Decke. Das in einem monotonen Auf und Ab sich bewegende Palmblatt erinnerte ihn daran, dass er nicht allein in seinem Zimmer war.

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