Der indigoblaue Schleier
belegt, und Amba war dankbar für die Gelegenheit, sich unauffällig zu entfernen.
Nun, einige Wochen nach ihrer Rückkehr nach Goa, saß sie auf der Veranda ihres Hauses, nippte an dem Masala-Chai, der nach Akashs Rezept zubereitet worden war, und dachte an Akash mit seinen klugen Augen und den eleganten Händen. Es war schön gewesen, sich zur Abwechslung einmal mit einem weitgereisten Mann unterhalten zu können, der anscheinend ihre Gesellschaft mehr genoss als die Vorteile, die er sich durch die Bekanntschaft mit ihr erschleichen konnte, so wie etwa Rujul oder Manohar es taten. Und obwohl Akash nicht ein einziges Mal ihr Gesicht gesehen hatte, waren Amba nicht die bewundernden Blicke entgangen, mit denen er ihre Gestalt, ihre Füße und ihre reich geschmückten Hände bedachte. Er fand sie schön, ganz ohne zu wissen, wie ihr Antlitz beschaffen war.
Und sie fand ihn schön. Er löste in ihr Gelüste aus, die sie erfolgreich verdrängt hatte. Es war allzu lange her, dass sie bei einem Mann gelegen hatte. Für eine Frau in ihrem Alter war das nicht gesund, das zumindest behauptete Nayana. Nicht, dass Amba die Nächte mit ihrem Mann besonders gefehlt hätten – sie verband sie mit Gekeuche und Schweiß, nicht jedoch mit großer Leidenschaft. Dennoch erfüllte Amba eine diffuse Sehnsucht nach der Begegnung mit einem Mann, wie sie ihr bisher nicht vergönnt war. Sie träumte von zärtlichen Händen, die ihren Körper erkundeten, von geflüsterten Liebesschwüren, von begehrlichen, verliebten Blicken. Und wenn sie, wie jetzt, mit offenen Augen davon träumte, dann sah sie dabei Akashs Gesicht vor sich.
Es war ein zauberhafter früher Abend. Noch war es nicht ganz dunkel. In den Bäumen, die Ambas Grundstück umstanden und es vor fremden Blicken schützten, zirpte, raschelte und knisterte es, dass es eine Freude war. Ein paar Affen rasten durch das dichte Grün. Amba sah nur ihre Umrisse, die sich scharf gegen den indigofarbenen Himmel abhoben. Die Luft duftete nach Blattwerk und Blüten, durchmischt mit dem Geruch der Feuerchen, der aus dem Dienstbotengebäude zu ihr wehte. Auch das helle Lachen Anuprabhas drang zu ihr herüber. Eine frohe Anspannung hatte sie wie auch alle anderen Bewohner ihres abgeschirmten Idylls ergriffen. Morgen war Diwali, das Lichterfest.
Diwali fand immer am 15 . Tag des Monats Kartik statt, also am Neumondtag, der nach dem Kalender der europäischen Eroberer meist auf Ende Oktober oder Anfang November fiel. An diesem Tag besuchten die Seelen der Verstorbenen ihre lebenden Verwandten. Um den
pitris,
den Geistern der Toten, den Weg zum Haus zu weisen, wurden unzählige Kerzen und Lampen entzündet. Auch glaubten viele Menschen, dass Lakshmi, die Göttin des Wohlstands, an Diwali die Häuser beehrte, die besonders gut erleuchtet waren.
Der morgige Tag wäre bestimmt von den aufgeregten Vorbereitungen. Auf Treppe und Veranda mussten traditionelle Muster aus Blüten ausgelegt werden, sogar auf dem Vorplatz würden sie ein solches
rangoli
aus gefärbtem Reismehl, Getreide, Samen und Hülsenfrüchten kreieren, um die kleinsten der Kreaturen – Insekten, Vögel oder Kriechtiere – zu beschenken. Für die Menschen würden Süßigkeiten zubereitet werden, mit denen man andere beglückte, außerdem mussten zahllose neue Kerzen und Öllampen besorgt werden, denn der Gebrauch von alten war verpönt. Außerdem würden sich alle Leute einer besonders sorgfältigen Reinigung unterziehen, ein Bad mit duftendem Öl nehmen und sich ihre Festtagskleidung anziehen. Man würde die Verwandten besuchen und gemeinsam im Tempel feiern. Es war ein fröhliches und geselliges Fest.
Aus der Ferne hörte sie das Kläffen eines Hundes, das Muhen einer heimkehrenden Kuhherde sowie das Läuten der Kirchenglocken. Der ortsansässige Priester bediente sich der offiziell verbotenen Hindubräuche, um die Leute in sein Gotteshaus zu holen. Am Vorabend von Diwali hielt er eine Messe ab, und Amba wusste, dass viele Dörfler sie besuchen würden. Der Pfarrer würde die Kirche mit Tausenden von Kerzen erleuchten und den Mädchenchor Lieder anstimmen lassen, die eine Mischung waren aus den oft trübsinnigen Melodien des Abendlandes und den lebensbejahenden Liedern der Fischer und Bauern der Region. Vielleicht, dachte sie bei sich, sollte sie ebenfalls die Kirche aufsuchen. Es würde einen guten Eindruck machen.
Aber nein, entschied sie, sie hatte noch zu viel zu tun, um ihre Zeit damit zu vergeuden, vor einem
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