Der indigoblaue Schleier
draußen auf die Veranda, um Ambadevi die Schultern zu massieren oder ihre Fußsohlen zu bemalen, und bei diesen Verrichtungen legte sich ein so tieftrauriger Ausdruck auf ihr Gesicht, dass Makarand die Tränen kamen. Es mangelte ihm nicht an Gelegenheit, Anuprabha zu sehen – aber diese melancholische Miene zeigte sie nur, wenn sie sich unbeobachtet glaubte, und genau sie war es, die ihm vor Sehnsucht schier das Herz zerriss.
Nun aber war Ambadevi im Innern des Hauses verschwunden. Anuprabha würde drinnen gebraucht werden, und dort hatte er nichts verloren. Es war ein reiner Frauenhaushalt. Er und Dakshesh durften keinen Fuß ins Haus setzen. Natürlich gab es immer Möglichkeiten, einen verbotenen Blick ins Innere zu wagen, etwa durch das Astloch an der rückwärtigen Wand. Aber dort hatte ihn Dakshesh einmal erwischt, und Makarand hatte es bitter bereut. Dem alten
mali
hätte er nie solche Kräfte zugetraut. Er war tagelang mit einem blauen Auge und einer dicken Beule an der Stirn herumgelaufen, was ihm das Spottgelächter der Mädchen eingebracht hatte. Das war alles gewesen, was Anuprabha ihm jemals an Aufmerksamkeit hatte zuteilwerden lassen. Im Gegensatz zu Jyoti, die ihm schöne Augen machte, gab Anuprabha sich vollkommen gleichgültig ihm gegenüber, ganz so, als existiere er gar nicht.
Makarand empfand dies als große Ungerechtigkeit. War nicht er es, der dank seiner Gewitztheit dafür sorgte, dass es Anuprabha nie an etwas mangelte? Hatte nicht er die bunten Pulver beschafft, die sie für ihre
puris,
ihre Andachten, brauchte? War schließlich nicht er es gewesen, der in der Küche, von Chitranis Falkenblick unentdeckt, einen ganzen Topf eingelegter Mangoscheiben entwendet hatte, um Anuprabhas Lust auf Süßes zu stillen? Und was erntete er dafür? Nichts als Undank.
Anuprabha benahm sich, als sei sie eine große Dame und er ein nichtswürdiger kleiner Junge. Aber mit welchem Recht? Er war fast fünfzehn, und sie war sechzehn. Es konnte wohl kaum an den anderthalb Jahren Altersunterschied liegen. Und was ihren Rang in Ambadevis Haus anging: Da war er ja nun eindeutig unentbehrlicher als sie, oder etwa nicht?
Makarand steigerte sich so in seinen Ärger hinein, dass er beim Abstieg aus dem Cajú-Baum unachtsam war und von einem Zweig abrutschte. Er fluchte leise und setzte seine Kletterei vorsichtiger fort. Aber das nützte ihm wenig. Am Fuße des Baums erwartete ihn Dakshesh mit grimmiger Miene und erhobenem Stock.
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12
D as Diwali-Fest hatte bei den ersten Portugiesen, die zu Beginn des 16 . Jahrhunderts in Goa gelandet waren, nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Wenn Abertausende von Kerzen, Fackeln und Kokosöl-Lämpchen den Abend erhellten, war jeder, ob Christ, Hindu, Moslem oder Heide, hingerissen von dem Spektakel. Und so kam es, dass die Eroberer trotz des strikten Verbotes aller hinduistischen Bräuche diese Neumondnacht ebenfalls feierten. Weil sie mit dem Beginn der trockenen und kühleren Jahreszeit zusammenfiel, war sie zugleich der offizielle Beginn der Ballsaison.
Hatte Miguel in den ersten Monaten seines Aufenthalts in Goa über die Einsamkeit und Abgeschiedenheit des Solar das Mangueiras gestöhnt, so wurde es ihm nun beinahe zu viel an Geselligkeit. Jeden Tag erschien ein neuer Bote mit einer weiteren Einladung. Die Figueiras luden zu einem Maskenball, die Pachecos zu einem kleinen Empfang, die Mendonças zu einem Diner und die Campos zum Debütball für ihre Tochter. Über die ersten Einladungen hatte er sich gefreut und sie dankend angenommen. Nun, nachdem er die gehobene Gesellschaft Goas ein wenig kennengelernt hatte – es lebten ja nicht allzu viele Familien aus seinen Kreisen in der Kolonie –, wusste er die verschiedenen Festivitäten und ihren Unterhaltungswert besser einzuschätzen. Die Figueiras waren todlangweilige Schwätzer, die Pachecos Schmeichler, die ihm Geld für ein unsinniges Geschäft abluchsen wollten, und die Tochter der Campos schielte, so dass die armen Eltern wahrscheinlich noch sehr oft junge Männer in ihr Haus locken mussten, um einen Ehemann für ihr Kind zu finden. Die Mendonças hingegen gefielen ihm.
Es handelte sich um eine noch immer sehr attraktive Witwe in den Vierzigern, Dona Assunção, mit ihren drei erwachsenen Kindern, zwei Söhnen und einer Tochter. Sidónio war in Miguels Alter, sein Bruder Álvaro ein Jahr jünger. Das Nesthäkchen, Delfina, war neunzehn Jahre alt. Die Familie lebte vom Erbe des früh verschiedenen Mannes, der
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