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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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sich so lange in den Salon begab. Nachdem Anuprabha und Jyoti im Schlafzimmer gekehrt hatten und ihre Herrin zurückkam, verzogen sie sich. Draußen hörte Amba das Wuschwusch der Besen und das leise Gemurmel der Mädchen. Wahrscheinlich stellten die beiden aberwitzige Mutmaßungen an, warum sie heute Abend so unausstehlich war und sie mit so niederen Arbeiten bestrafte.
    »Kein dummes Geschwätz, ihr beiden! Arbeitet schweigend!«, rief sie und ließ sich müde auf ihr Bodenkissen fallen. Es machte ihr keinen Spaß, die Dienerschaft herumzuscheuchen – aber wenn sie es nicht tat, würden ihr die Leute innerhalb kürzester Zeit auf der Nase herumtanzen. Nur wenn sie sich wie eine Herrin benahm, wurde sie auch wie eine Herrin respektiert. Zeigte man die kleinste Schwäche, wurde diese sogleich ausgenutzt.
    »Wenn ihr fertig mit dem Fegen seid, dürft ihr euch zu Makarand und Dakshesh gesellen und euch die Schauermärchen von dem Alten anhören.« Amba wusste, dass ihre Diener die Geschichten des Gärtners liebten – genauso wie sie wusste, dass ihre Erlaubnis, zu Daksheshs Hütte zu gehen, eine Art Belohnung darstellte. Vielleicht war sie doch nicht so streng, wie sie es sein sollte. Aber irgendwie musste sie die beiden Mädchen loswerden, denn sie selber wollte noch etwas erledigen, bei dem sie keine Zeugen brauchen konnte. Außer Nayana natürlich.
    Wo steckte sie eigentlich? Hielt sie etwa wieder ein Nickerchen? In letzter Zeit verschlief ihre
ayah
den halben Tag – wenn sie sich in der Mittagszeit hinlegte, wachte sie oft nicht vor der Abenddämmerung auf. Sagte man nicht, dass die Alten mit weniger Schlaf auskamen als die Jungen? Auf Nayana traf dies gewiss nicht zu. Denn nach ihrem ausgedehnten Mittagsschlaf hatte sie auch nachts keinerlei Schwierigkeiten, sofort nach dem Hinlegen wieder einzudösen. Beneidenswert, dachte Amba. Wahrscheinlich war es die Unbedarftheit ihrer
ayah,
die ihr diese innere Ruhe verlieh. Sie selber schlief, gerade in jüngster Zeit, sehr unruhig. Sie wälzte sich stundenlang auf ihrer Matratze, schrak, kaum dass sie eingeschlafen war, wieder auf und hatte dann die furchtbaren Bilder ihrer Träume vor Augen, die ein neuerliches Einschlummern verhinderten. Tagsüber fühlte sie sich dann oft matt und abgeschlagen.
    Jetzt allerdings war sie hellwach und hochkonzentriert. Sollte Nayana doch schlafen – sie würde für ihr Vorhaben nicht lange brauchen und konnte auf die Hilfe der Alten verzichten. Deren Aufgabe hätte vor allem darin bestanden, aufzupassen, dass niemand Ambas Zimmer betrat, und das würde sich auch so regeln lassen.
    »Anuprabha, Jyoti?«
    »Ja, Ambadevi?«
    »Sagt Chitrani, sie soll das Essen heute etwas später auftragen, ich habe noch keinen großen Appetit. Ich würde mich gern noch ein wenig hinlegen. Und ihr zwei dürft jetzt gehen – das Rascheln der Besen stört mich.«
    Amba sah nicht, wie die zwei jungen Mädchen sich ungläubig anstarrten, aber sie hörte, wie sie die Besen in eine Ecke knallten und sich kichernd auf den Verandastufen ihre Schlappen überstreiften. Als sie endlich allein war, nur mit der schlafenden Nayana in einem Nebenraum, trat sie vor das Gemälde Parvatis.
    Sie schob ihre Hand unter den Rahmen und löste die Verriegelung, die sich genau auf Augenhöhe der Göttin befand. Ein kurzes Schnappen war zu hören. Dann drückte Amba das Bild zur Seite und kletterte in die Kammer. Von innen brachte sie das Gemälde wieder in seine ursprüngliche Position zurück, bevor sie den Teppich beiseiteschob und die Klappe öffnete. Ein schaler Geruch schlug ihr entgegen. Sie drückte sich ein parfümiertes Tuch vor Mund und Nase, in der anderen Hand hielt sie eine Laterne. Vorsichtig stieg sie die steilen Stufen hinab. Im Tunnel angekommen, begab sie sich zunächst zu dem Versteck ihrer Juwelen. Sie entnahm dem Beutel einen großen Rubin und steckte ihn in ihr Dekolleté. Dann verstaute sie den Beutel wieder, legte die Steine vor die Nische und ging weiter in Richtung des Ausgangs.
    Denn auch dieser musste regelmäßig überprüft werden. War er noch offen? War er sicher verborgen? Hatte kein wildes Tier in der von Gestrüpp verborgenen Höhle Zuflucht gesucht? Der Ausgang des Tunnels lag eine halbe Meile westlich des Wohnhauses, und der Weg konnte, wenn man in gebückter Haltung durch Finsternis und schlechte Luft schleichen musste, endlos erscheinen. Amba riss sich zusammen. Sie hatte diese Strecke schon öfter zurückgelegt, oder etwa nicht? Sie

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