Der indische Fluch
eine Viertelstunde später traf ein Arzt aus der Gegend auf Pembroke Manor ein. Der Butler hatte ihn verständigt.
Er stellte sich als Dr.Mark Ridley vor, war Anfang dreißig, hochgewachsen und hatte ruhige, dunkle Augen, deren Wirkung durch die kräftigen Brauen noch unterstrichen wurde.
Das dunkelblonde Haar trug er kurz und sah insgesamt ausgesprochen attraktiv aus.
Wir begegneten uns für einen Moment, als der Butler ihn durch den Empfangsraum führte.
"Kommen Sie, Dr. Ridley!" forderte Edward etwas ungeduldig.
Für einen kurzen Moment blieben unsere Blicke aneinander haften. Dann folgte Ridley dem Butler und sagte ihm:
"Lassen Sie mich bitte bei der Leichenschau allein, Edward."
"Wie Sie wümnschen, Sir!"
Inzwischen war auch Lambert, der Manager auf den Beinen.
Und Lisa strich wie eine streunende Katze im Empfangsraum herum. Edward hatte ihr vom Tod ihrer Mutter berichtet, aber das hatte sie ohne irgend eine Emotion nach außen dringen zu lassen geschluckt.
Jetzt wirkte sie ziemlich nervös.
"Wo ist eigentlich Mr. Stanton?" erkundigte ich mich irgendwann bei Lambert, der mich erstaunt ansah.
"Stanton? Oh, der ist sicher in seinem Zimmer und schläft noch. Wissen Sie, Mrs. Carter und ihr Mann hatten getrennte Zimmer. Die beiden lebten schon seit Jahren mehr oder weniger nebeneinander her und..." Er sprach nicht weiter.
An Lamberts Stelle meldete sich Lisa auf ihre kratzbürstige Art und Weise zu Wort.
"Warum sagen Sie es nicht, wie es ist, Mr. Lambert? Mein Stiefvater hat ein Alkoholproblem. Wenn er irgendwo auftreten müßte, würde er früher oder später vom Klavierhocker fallen, das ist die Wahrheit!"
Sie verzog das Gesicht und verschränkte die Arme vor der Brust.
Dann sah sie mich an.
"Schockiert Sie meine Offenheit, Miss Chester?"
"Wohl kaum", antwortete ich.
"Tja, Sie hätten wohl nicht gedacht, daß aus Ihrer Reportage samt Interview nun ein Nachruf werden wird, nicht wahr?"
Meine Erwiderung war eisig.
"Sie sagen das nicht gerade wie eine Tochter, die um ihre tote Mutter trauert."
Sie verzog das Gesicht zur Ahnung eines Lächelns. Zynismus leuchtete in ihren Augen. Sie schüttelte den Kopf und lachte kurz auf.
"Bleiben Sie ruhig noch eine Weile hier und schreiben Sie Ihre Story, Miss Chester! Wußten Sie, daß Mutters Erinnerungen bei einem renomierten Londoner Verlag liegen?"
"Nein, das wußte ich nicht."
"Im nächsten Herbst wird es herauskommen und was immer Sie auch nun schreiben werden - es wird den Verkauf ankurbeln.
Und da ich die Erbin ihrer Rechte bin..."
Sie war geschmacklos und auf ihre Art grausam. Ich schluckte die Erwiderung herunter, die mir auf der Zunge lag.
Diese Frau war seelisch krank. Ich konnte sie nur zum Teil für das verantwortlich machen, was sie sagte.
Mein Blick ging seitwärts.
Ich sah, daß Lambert unruhig auf und ab ging.
"Hat sich schon jemand überlegt, wer meinem Stiefvater die schlechte Nachricht überbringt?" war Lisas Stimme dann zu vernehmen. "Ich werde es jedenfalls nicht sein!"
Es herrschte Schweigen.
Lisa atmete tief durch.
Auch sie schien ziemlich nervös zu sein. Sie ging bis zur Treppe, warf einen Blick auf die Spinnweben und den Staub und murmelte dann mit boshaftem Unterton: "Ich war schon lange dafür, das Hausmädchen rauszuwerfen und jemand anderes dafür einzustellen!"
*
Dr. Mark Ridley kam schließlich aus Mrs. Carters Schlafgemach und trat in den Empfangsraum. Alle Augen waren auf den jungen Arzt gerichtet, dessen Gesicht sehr ernst wirkte.
"Nun, wenn Sie den Totenschein unterschrieben haben, ist Ihr Job erledigt, Dr. Ridley!" sagte Lisa schneidend.
"Wir müssen die Polizei verständigen", erklärte Ridley ruhig.
"Was?" rief Lisa.
Ridley stellte sein Arztköfferchen auf einem der kleinen runden Tische ab und setzte sich. Dann schlug er die Beine übereinander und fuhr sich mit einer fahrigen Handbewegung über das Gesicht.
"Die Todesursache scheint Herzversagen zu sein, soweit ich das dem ersten Anschein nach beurteilen kann..."
"Was bei einer Frau in Gillian Carters gesegnetem Alter ja vielleicht nicht gerade eine Todesursache ist, die die Mordkommission auf den Plan rufen sollte, oder?" fauchte jetzt Lambert, der Manager. "Mir gefällt der Gedanke nicht, daß die Polizei hier herumschnüffelt und in die Privatsphäre aller, die hier leben eindringt..." Dann wandte er sich an Edward und knurrte: "Warum haben Sie diesen Quacksalber angerufen und nicht einen anderen Arzt?"
"Er ist der einzige in der Umgebung",
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