Der Insulaner
sie wohlhabend und immer so weiter.« Er zwang das Nusk, sein Maul zu öffnen und überprüfte die großen, flachen gelben Zähne des Tieres.
»Was wir jetzt tun, verhält sich aber ein wenig anders. Diese Expedition ist ganz offen zu Forschungszwecken unterwegs, wie jeder wissen darf. Es gibt also keine Heimlichkeiten.« Er hielt inne. »Nun, wir haben es vorgezogen, Choula nicht als Kartographen vorzustellen, doch das ist etwas anderes. Du würdest dich wundern, wenn du wüsstest, wie manche Menschen über Landkarten denken. Sie halten sie für Zauberei und zwar für eine böse. Primitive Völker denken manchmal, sie seien geschlagen worden, weil die feindlichen Generäle Landkarten besitzen. Sie haben recht, aber aus den falschen Gründen. Sie glauben, die Karte enthalte einen Zauber, der über dem ganzen Land liegt.«
»Was haben wir denn bisher herausgefunden?« fragte Hael. »Denkst du, dass es für die königlichen Ratgeber von Interesse sein wird?«
»Kaum«, antwortete Shong. »Aber wir stehen gerade erst am Anfang unserer Reise, die sich noch zwei oder drei Jahre lang hinziehen kann. Wir verbringen nur noch kurze Zeit in dieser öden Steppe, ehe wir uns nach Süden wenden. Wie ich hörte, befinden sich dort die wohlhabenden Städte. Aber sogar hier haben wir wertvolles Wissen gesammelt, wenn auch von der unangenehmen Art.«
»Weshalb denn das?« fragte Hael verwundert.
Shong machte eine weitausholende Geste, die gleichzeitig allumfassend und verächtlich wirkte. »Diese riesige Steppe ist völlig leer. Hier leben nur belanglose primitive Völker: zerlumpte Jäger, wilde, auf Cabos reitende Räuber und schmutzige Bauern in Palisadendörfern. Obwohl der König von Neva und der König von Omia sich brüderlich lieben – was uns allen wohlbekannt ist –, kann einmal eine Zeit kommen, wenn die Götter es anders bestimmen. Sollte unser Herrscher entscheiden, dass ein Krieg unvermeidlich ist und aus diesem als Sieger hervorgehen, wird er Omia zu seinen umfangreichen Ländereien hinzufügen. Dann wird es ihn beruhigen zu wissen, dass er keine Feinde aus dem Nordosten, jenseits des Gebirges zu fürchten hat. Bei meiner Rückkehr kann ich ihm wahrheitsgemäß berichten, dass außer spärlichem Handel nichts nach Westen über die Berge gelangen wird.«
Hael war anderer Ansicht, schwieg aber wohlweislich. Der Kaufmann hätte seine ehrgeizigen Pläne belächelt oder ihn als verrückt bezeichnet. Für Shong, den nur Handelsstraßen, Märkte und Bodenschätze reizten, war die Steppe ein ödes Gebiet. Choula, den Städter, interessierten bloß seine Zeichnungen und die Landkarten. Sobald er das Land zu Papier gebracht hatte, war die Sache für ihn erledigt.
Und Hael? Hael erblickte einen grenzenlosen Grasteppich, und jeder Hirte wusste, dass dies für Vieh und somit letztlich auch für Menschen unerlässlich war. Als Hirte hatte er nur an die Kaggas gedacht. Jetzt dachte er an Cabos. Hier hatte er ein Reitervolk kennen gelernt, das beweglich war. Diese Menschen konnten überall leben, wo es ausreichend Gras für ihre Cabos gab. Die Steppe war ein Teil seiner Bestimmung, das wusste er.
Hael wünschte sich, Deenas Stamm, die Matwa kennen zu lernen. Er war sicher, dass auch sie zu seiner Zukunft gehörten. Leider waren die Menschen hier in viele verschiedene Stämme aufgesplittert, die einander mit Misstrauen und Feindseligkeit begegneten. Er hatte die Zivilisation kennen gelernt und begriffen, welche Macht in der Einigkeit liegt. Die Könige und ihre Reiche waren ebenfalls verfeindet, was ihm auch falsch erschien, aber damit wollte er sich beschäftigen, wenn die Zeit gekommen war.
Im Augenblick brauchte er ein Werkzeug von großer Macht, um seine Bestimmung zu erfüllen, und er war sicher, die Bewohner dieses wilden Landes zu einem solchen Werkzeug zusammenschmieden zu können. Selbst die untergeordneten Byalla würden einen passenden Platz einnehmen.
Fortwährend befragte Hael seine Gefährten. Bei Shong erkundigte er sich nach den Handelsbeziehungen zwischen unterschiedlichen Ländern. Von Choula wollte er alles über die Politik der Könige und die Bewirtschaftung und Verteilung des Ackerlandes wissen, wie sie in Zivilisationen üblich ist. Wie die meisten Menschen liebten es auch die beiden Männer, ihren Beruf bis in alle Einzelheiten vor jemandem auszubreiten, der sich ausdrücklich dafür interessierte. Doch irgendwann baten auch sie um Gnade vor den dauernden Kreuzverhören.
Der Junge kümmerte sich
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