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Der Insulaner

Der Insulaner

Titel: Der Insulaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Maddox Roberts
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weiterhin um Deena. Sie erholte sich schnell und war ihm zugetan, aber es war nicht zu übersehen, dass ihre Erfahrungen bei den Amsi sie mit großem Misstrauen vor allen Männern erfüllt hatten. Geduldig machte sich Hael daran, ihr Vertrauen zu gewinnen. Sie war ihm aufrichtig dankbar, weil er ihr das Leben gerettet und nicht versucht hatte, ihre Abhängigkeit auszunutzen. Immer wieder versicherte er ihr, er werde es den Amsi nicht gestatten, sie nochmals gefangen zu nehmen, aber sie glaubte ihm nicht, ehe sie nicht wohlbehalten zu ihrem Stamm zurückgekehrt war.
    »Lebt ihr auch in Dörfern wie diesem hier?« fragte Hael, der das Leben ihres Volkes gerne näher kennen lernen wollte.
    Sie schüttelte den Kopf. »Wir haben auch Dörfer, verstecken uns aber nicht hinter Lehmmauern und Palisaden. Das Geschick unserer Bogenschützen ist unser Schild.«
    »Nicht immer die beste Verteidigung«, fand Hael. »Sie konnten dich nicht vor den Amsi schützen.«
    »Nichts im Leben ist sicher«, erwiderte sie mit steinerner Miene. »Auch die Mutigsten und Tapfersten können überrascht werden. Die Amsi sind ausgesprochen flink. Es handelte sich nur um kleinen Trupp. Die Hufe der Cabos waren mit Tüchern umwickelt worden. Beim ersten Tageslicht schlugen sie zu, als wir zum Wasserholen gingen. Um diese Zeit sind die Menschen noch im Halbschlaf, und der Puls des täglichen Lebens schlägt nur langsam. Ort und Zeit waren gut gewählt, und sie fielen wie Aasgeier über uns her. Jene, die nicht behände genug waren, warfen sie über die Sättel und stürmten davon. Trotzdem haben sie nicht viel erreicht. Zwei Amsi wurden von unseren Pfeilen getötet, drei wurden verletzt. Das machte sie furchtbar wütend, und sie behandelten uns sehr schlecht.« Sie schlug die Augen nieder und blickte zu Boden. »Ich bin so entehrt, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass mein Stamm mich wieder aufnimmt.«
    »Es ist vorbei«, erklärte Hael mit Nachdruck. »Das ist Vergangenheit, und du bist immer noch du selbst. Mach dir wegen deines Stammes keine Sorgen. Ich werde ihnen beibringen, dir die Achtung entgegenzubringen, die dir gebührt.«
    Jetzt hob sie den Kopf und sah ihn an, als habe er den Verstand verloren. »Und wer bist du, dass du einem stolzen und freien Volk deinen Willen aufzwingen kannst?«
    Bei dieser Frau musste er sich nicht verstellen. »Ich bin Hael von den Inseln, und ich werde einst König sein. Ich kann kein Reich erben, wie es andere tun. Daher werde ich mir mein Königreich aufbauen. Und zwar hier.« Mit weitausholender Geste schloss er die ganze Steppe ein.
    Hael war sicher, dass sie ihn nicht verspotten würde, und er hatte sich nicht geirrt. »Das sind ehrgeizige Träume für einen ehemaligen Hirten, der jetzt als Wächter die Karawane eines Kaufmanns begleitet.« Unglauben schwang in ihrer Stimme mit, jedoch kein Spott.
    »Ich war schon immer anders als alle anderen. Selbst in meinem eigenen Volk. Ich hätte ein Geistersprecher werden sollen, aber meine Herkunft ließ es nicht zu. Mein Pflegebruder hat mich sogar um die Stellung als Krieger und Hirte gebracht, und so wurde ich zu einem Ausgestoßenen.« Er starrte zu den Bergen hinüber, die als niedrige unregelmäßige Linie am westlichen Horizont zu sehen waren, als könne er durch sie hindurchsehen – in seine Vergangenheit hinein.
    »Die Geister erfüllen mich mit Kraft«, fuhr er fort.
    »Seit meiner Kindheit sprechen sie zu mir, aber früher vermochte ich ihre Worte nicht zu verstehen. Ich spürte ihre Gegenwart, wusste aber lange Zeit nicht, dass es anderen Menschen nicht so erging. Nur unser alter Geistersprecher verstand mich, konnte mir aber nicht helfen.
    Als ich in die Zivilisation kam, glaubte ich, die Götter der Menschen hätten eine Antwort für mich, aber dann fand ich heraus, dass ihre Götter nichts als Naturgewalten sind, denen man ein menschliches Aussehen gab. Sie haben sich so weit von den Geistern entfernt, die sie einmal waren, dass sie inzwischen längst nicht mehr vorhanden sind, und ihre Rituale sind nur noch Auftritte der Priester in der Öffentlichkeit.«
    Deena war verwirrt. »Und jetzt, da es die Götter nicht mehr gibt … weißt du, was du tun sollst?«
    »Der Weg ist mir noch nicht klar«, gab Hael zu, »aber das Ziel schon.«
    Zum ersten Mal sah er Deena lächeln. Es war kein breites Lächeln und erforderte Anstrengung, als seien die Gesichtsmuskeln so ungeübt, dass sie der Aufforderung nur zögernd nachkommen konnten. Dennoch war es ein

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