Der Insulaner
Armen, breiten Schultern und einem schweren Brustkorb. Sein Rücken wirkte so breit wie der Arm eines großen Mannes lang ist. Hael, der leicht gebückt mit gespreizten Armen und Beinen in der wachsamen Haltung des Ringers vor ihm stand, wirkte dagegen ein wenig zerbrechlich.
Manchen Zuschauern jedoch fiel auf, dass die beiden in gewisser Weise ebenbürtige Gegner waren. Trotz Haels schlankem Wuchs hatte er den Nacken eines erfahrenen Ringers. Seine langen, muskulösen Arme und die schmalen Hüften sahen so aus, als seien sie zur Freude eines nevanischen Bildhauers geschaffen worden – und nicht, um einem Amsikrieger zur Zierde zu gereichen. Dennoch wussten die erfahreneren Männer, dass sich Kraft nicht allein durch Masse, sondern auch durch gute Körperproportionen ausdrückt. Haels lange, kräftige Beine mit den ausgeprägten Schenkelmuskeln und den herzförmigen Waden über den schön gewölbten Füßen eines Läufers sprachen Bände. Impabas Beine dagegen waren durch das Leben im Sattel krumm und dürr geworden. Mit dem massigen Oberkörper und den dünnen Beinen sah er wie ein Käfer aus, der auf dem hintersten Beinpaar aufgerichtet steht. Jeder, der sich auf Ringkämpfe verstand – und jeder Amsimann hielt sich für einen Kenner –, wusste, dass Beine beim Ringen mindestens so wichtig sind wie Arme. Beine benötigt man für jegliche Sprünge, sie verleihen dem Kämpfer festen Halt oder dienen dazu, den Gegner ins Stolpern zu bringen. Lagen die Ringer am Boden, konnte man mit Hilfe eines Beines Gliedmaßen des Gegners festhalten oder – wenn der Ringer sehr geschickt war – einem Mann die Luft abdrücken, bis er ohnmächtig wurde.
Impaba und Hael umkreisten einander geduldig; jeder wartete auf einen günstigen Augenblick zum Angriff. Beide versuchten, den anderen erst zu attackieren, wenn jener durch das Licht des Feuers ein wenig geblendet wurde. Da beide darauf aus waren, tat sich eine ganze Weile gar nichts.
Impaba gab vor, einen Ausfall zu machen, aber Hael reagierte nicht. Sekunden später wiederholte Impaba die Bewegung und sprang diesmal wirklich nach vorn. Hael hatte nichts anderes erwartet, und als der Körper des Amsi auf ihn zuschoss, trat er ihm gegen den rechten Fuß. Impaba stürzte, nutzte die Gelegenheit jedoch, im Fallen beide Arme um Haels Hüften zu schlingen und seine Schulter mit aller Kraft in den Magen des Jungen zu bohren.
Als der Gegner ihn packte, wich Hael gerade nach hinten aus, sonst hätte ihn der Aufprall sofort zu Boden gerissen. Dennoch raubte ihm der Schulterschlag den Atem und ließ ihn erstarren. Zum Glück blieben beide Arme frei. Mit Leichtigkeit hätte er die Fäuste nehmen und auf Impabas Nacken schmettern können, worauf der Feind das Bewusstsein oder gar das Leben verloren hätte. Bei den Shasinnringkämpfen war dieser Griff verboten, daher nahm der Junge an, dass es bei den Amsi ähnlich war.
Stattdessen bohrte Hael die Fersen in den Boden und beugte sich vor, um den Gegner ebenfalls um die Hüften zu fassen. Mit einem Ruck zog er Impaba so hoch, dass die Beine in der Luft zappelten und schleuderte ihn über die Hüfte nach hinten. Der Amsi musste sein Opfer loslassen, wirbelte durch die Luft und landete mit einem dumpfen Aufprall auf dem Rücken. Hätte es sich um einen Kampf auf Leben und Tod gehandelt, wäre Hael auf den Mann gesprungen, um dessen Kehlkopf mit der Ferse einzudrücken oder die Rippen mit den Knien zu brechen. Nun wartete er, bis sich Impaba erhob.
Blitzschnell und mit wutverzerrtem Gesicht kam der Amsi wieder auf die Beine. Mit den gebleckten Zähnen und der verschmierten Kriegsbemalung sah er wie ein wildes Tier aus. Jetzt bewegte er sich flink und behände wie eine Schlange, und beide Kämpfer bemühten sich, den Arm um den Nacken des Gegners zu legen, während sie mit der anderen Hand versuchten, sich des Feindes zu erwehren. Sekundenlang lagen Impabas beide Arme um Haels Hals, und er hätte ihm ernsthaften Schaden zufügen können, wenn Hael ihn nicht mit beiden Beinen vom Boden gehoben und so eines festen Standpunktes beraubt hätte. Sofort musste der Amsi loslassen, und sie wichen auseinander.
Jetzt wusste Hael, dass Impaba im Oberkörper kräftiger war als er. Das bot einen nicht zu unterschätzenden Vorteil, war aber längst nicht entscheidend. Der Mann hatte keine Ahnung, wie er seine Beine gebrauchen sollte, und das machte ihn nach Shasinnmaßstäben zu einem nur mäßigen Ringer. Allerdings war er flink wie eine Schlange und
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