Der Insulaner
hätten, wenn ich auf eine Eidechse gewiesen und sie als Hael, den Verheißenen bezeichnet hätte.«
»Aber das ist bloß eine vorübergehende Euphorie. Sie wird nicht lange anhalten.«
»Da hast du recht. Von nun an musst du deinen Reden Taten folgen lassen und deine Fähigkeiten immer wieder unter Beweis stellen. Ansonsten bedeutet es für uns beide den Tod.«
»Dennoch glauben die übrigen Geistersprecher an mich.«
»Anfangs waren sie misstrauisch. Aber als sie dich sahen, deine Worte vernahmen und deine Geisterkraft spürten, wussten sie, genau wie ich, dass du der Verheißene bist. Ich denke, sie werden immer hinter dir stehen, aber das Volk ist wankelmütig, und die Häuptlinge werden stets neidisch sein. Du musst zu jeder Zeit mit Verrat rechnen. Dass du Impaba gegenüber Gnade hast walten lassen, brachte dir Anerkennung ein, aber es wird eine Zeit kommen, da du mit Verrätern rücksichtslos umgehen musst. Sollte einer, der dich verrät, mit dem Leben davonkommen, wirst du von Stund an von Verrätern umgeben sein.«
»Das gefällt mir überhaupt nicht«, meinte Hael bedrückt. »Ich möchte der Retter des Volkes sein, kein Tyrann.«
»Das ist der Preis, den du zahlen musst, mein Freund. Ich glaube, du hast dir die schwierigste Arbeit aufgebürdet, die ein Mann je in Angriff nahm. Du darfst dich nicht vor den unangenehmeren Seiten dieser Aufgabe drücken. Gleichgültig, wie du es auch anfangs nennen willst: Zum Schluss wirst du unser König sein. Ein weiser Herrscher ist auch ein strenger Herrscher. Ein Schwächling bedeutet eine größere Gefahr für sein Volk als ein Tyrann.«
»Ich weiß. Was getan werden muss, werde ich tun.« Hael ließ den Blick über das Lager schweifen, dessen Feuer sich erstreckten, so weit das Auge reichte. Dort lagerte sein Volk. Er war kein Ausgestoßener mehr. »So habe ich es schon immer gehalten.«
Als Hael diesmal in Deenas Dorf zurückkehrte, wurde er mit Jubelrufen begrüßt, aber auch mit Verblüffung. Die Dorfbewohner freuten sich, ihn zu sehen und waren glücklich, ihre Matwabrüder unverletzt begrüßen zu können, aber mit weit aufgerissenen Augen starrten sie die Mitbringsel der Männer an: eine Herde von hundert Cabos. Die Tiere wurden von fünf Amsijungen betreut, die sich große Mühe gaben, sich nicht die Unruhe anmerken zu lassen, die sie inmitten einer Flut von Erzfeinden befallen hatte.
»Ich werde mich um Weidegründe für die Tiere und einen Schlafplatz für die Knaben kümmern«, erklärte Afram und schlug Hael auf die Schulter. »Jetzt geh erst einmal zu meinem Haus hinüber. Ich glaube, dort wirst du schon mit großer Ungeduld erwartet.«
Hael verschwendete keine Zeit. Er warf einem seiner Begleiter die Zügel des Cabos zu und lief zum Haus hinüber, dessen Giebel mit gebogenen Hörnern und Blumengirlanden geschmückt war. Strahlend und mit ausgebreiteten Armen erwartete ihn Deena. Hael drückte sie an sich und hielt sie dann auf Armeslänge von sich weg. Jugend und Willenskraft hatten die Leiden und Qualen der Vergangenheit besiegt. Sie sprühte vor Gesundheit und Frohsinn. Bei seinem Anblick leuchteten ihre Augen auf.
»Ich glaube es nicht!« rief Hael. »Du bist ja noch schöner geworden!«
»Und ich fürchtete, ich würde dich und die anderen nie wieder sehen. Wie ist es euch ergangen?«
»Besser, als ich zu hoffen wagte. Aber darüber wollen wir später reden. Komm, der Tag ist noch lang. Fühlst du dich kräftig genug für einen ausgedehnten Waldspaziergang?«
Sie lachte. »Ich bin seit Wochen wieder vollkommen gesund, aber meine Mutter ist mehr als vorsichtig. Schließlich sagte ich ihr, sie solle sich einen anderen Pflegefall suchen. O ja, ich sehne mich danach, endlich einmal aus dem Dorf zu kommen und wieder in den Wald zu gehen.«
Er nahm sie bei der Hand und führte sie in das kleine Tal, das sich den Hügel hinauf zog, der hinter dem Dorf lag. Deena stieß beim Anblick der Cabos einen überraschten Schrei aus. Sie wurden gerade zur Weide getrieben. Hael konnte sich kaum an ihrem völlig verwandelten, glücklichen Gesicht satt sehen. Als er sie halbverhungert und so gut wie tot in den Bergen gefunden hatte, hatte ihn ihr Liebreiz verzaubert. Wenn er sie jetzt ansah, verstand er nicht mehr, wie er Shazad jemals hatte schön finden können. Er schüttelte den Kopf, da er sich durch den Gedanken an die Priesterin nicht den Tag verderben lassen wollte.
Sie sprachen wenig miteinander, während sie Hand in Hand das schmale gewundene
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