Der Insulaner
Spannung in der Luft. Die in Leder gekleideten Krieger verhielten sich Hael gegenüber äußerst respektvoll und sahen ihn voller Bewunderung an, die Matwa aber ernteten misstrauische Blicke, was ihnen wiederum missfiel. Unter der höflichen Oberfläche brodelte kaum verhohlene Feindseligkeit. Hael erzählte immer wieder, dass sie nach wilden Cabos suchten, und die Amsi versprachen, ihm einen Boten zu schicken, sobald sie eine Herde entdeckten.
Nicht alles, was sie in der Steppe erlebten, gefiel Haels Truppe. Sie waren von der großen Anzahl der Wildtiere begeistert, die ein Bogenschütze vom Caborücken aus mit Leichtigkeit erlegen konnte, fanden aber bald heraus, dass den Herden riesige Schwärme stechender Insekten folgten. Schlimmer noch, sie empfanden den Mangel an Holz, der es erforderlich machte, getrockneten Dung verbrennen zu müssen. Doch allmählich gewöhnten sie sich an diese Unannehmlichkeiten, und niemand murrte laut oder äußerte den Wunsch, nach Hause zurückzukehren.
Am Ende der dritten Woche spürte Hael, dass sich seine Leute an das Nomadenleben gewöhnt hatten und ihnen nur die Kampferfahrung fehlte, um eine tüchtige kleine Armee aus sich zu machen. Allerdings hatte er nicht vor, sich in einen Kampf verwickeln zu lassen, da er zuerst einmal eine große berittene Truppe aufstellen wollte, ehe er einen seiner Krieger einem Gefecht auslieferte. Noch hatte er nur wenige Leute, und wenn sie ihre erste Schlacht verloren, würde es nie mehr zu einer zweiten kommen. Außerdem hatten sie im Augenblick keine Feinde. Das würde sich natürlich in absehbarer Zeit ändern.
Eines Morgens erwachte Hael kurz vor Sonnenaufgang. Das Feuer prasselte, als ein gähnender junger Mann in der Asche herumstocherte und ein paar trockene Zweige in die Flammen warf. Ein Hauch von Rauch und Caboduft lag in der kühlen Morgenluft. Hael erhob sich leise, um die Schlafenden nicht zu stören, und entfernte sich vom Lager, nachdem er sich vergewissert hatte, dass der Krieger, der die Cabos bewachen sollte, auf seinem Posten war.
Hael wanderte zu einem kleinen Hügel hinüber und erklomm ihn. Auf der Kuppe drehte er sich um und genoss den Ausblick. In dem immer heller werdenden Licht konnte er meilenweit sehen. Unter ihm lag das Lager, das in der endlosen Steppe winzig aussah. In einiger Entfernung weideten Krummhorn- und Gabelhornherden, und hier und da erspähte er die Umrisse der Mordvögel, die sich auf die Jagd begaben. Im Westen stauten sich riesige Wolkengebilde; ein sicheres Zeichen für einen Sturm, der am Tag zuvor den Ozean heimgesucht haben musste. Hael dachte an Malk und die anderen Seeleute, die über das unsichere Meer segelten. Als die Sonne am östlichen Horizont erschien, fühlte er sich in seine früheste Jugend zurückversetzt, als er die Kaggas hütete und die Geister des Landes zu ihm sprachen, während er das rege Leben rings umher in sich aufnahm. Sekundenlang fühlte sich Hael, als befinde er sich im Mittelpunkt der Welt.
Eine Bewegung riss ihn aus seinen Träumen. Ein einzelner Reiter, zweifelsohne ein Amsi, galoppierte auf das Lager zu. Hael rannte den Hügel hinab, denn er wollte unbedingt im Lager sein, wenn der Reiter eintraf. Die Männer waren bereits auf den Beinen, reckten sich und gähnten. Einige schnitten Fleischstücke von dem kalten Braten des letzten Abends ab, um sie zum Frühstück zu verzehren. Hael rief nach seinen fünf Anführern.
»Ein Reiter naht«, erklärte er. »Vielleicht bringt er die Neuigkeiten, auf die wir warten.«
Als der Amsi eintraf, herrschte unterdrückte Aufregung im Lager. Der Mann lächelte überheblich und sah weder nach rechts noch nach links, sondern ritt genau auf Hael zu. Er schien mehr Kämpfe erlebt zu haben als mancher andere, denn sein Gesicht war von Narben bedeckt, und sein Scheitel wirkte verzerrt: Anscheinend war ein guter Teil seiner Kopfhaut schon einmal aufgerissen worden und schief wieder angewachsen. Ein Ohr fehlte ganz. Die Kleidung, die er trug, musste einst von bester Machart gewesen sein, war aber inzwischen rauchgeschwärzt und mit eingetrockneten Blutflecken bedeckt. Er zügelte sein Cabo vor Haels Füßen.
»Ich grüße dich, Verheißener«, sagte er und legte den Handrücken an die Stirn. »Ich bin Deno vom Blauen Fluss. Unser Stamm gehört zu den Amsi des Südwestens. Meine Brüder und ich legten zwei Tagesritte in Richtung Süden zurück, als wir eine große wilde Caboherde erblickten, etwa drei- oder vierhundert Tiere. Wir
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