Der Insulaner
Geisterbeschwörern, während mich alles, was damit zu tun hat, langweilt. Wenn du etwas über Speere, Kämpfe, Kaggas oder Frauen wissen willst, musst du mich fragen. Die Welt der Geister aber ist seine Leidenschaft.«
»Was bedeutet dieses eigenartige Wort, das du benutzt hast?« fragte Malk. Mit wenigen Sätzen erklärte Hael die Bedeutung von Chabas-Fastan. Im Gegensatz zu den meisten Riten der Bruderschaft, die streng gehütete Geheimnisse blieben, durfte man offen darüber sprechen.
»Im Ernst?« Malk zuckte zusammen und grinste gezwungen. »Ihr habt euch gegenseitig die Vorhaut mit einem stumpfen Messer abgehackt? Kein Wunder, dass daraus eine enge Beziehung entsteht! Die Beschneidung wird bei vielen Völkern durchgeführt, aber für gewöhnlich macht es ein Priester oder ein Heiler, der ein scharfes Messer verwendet. Außerdem geschieht es im Säuglingsalter.« Verwundert schüttelte er den Kopf. »Nun, um auf eure Frage zurückzukommen: Ein Gott ist wie ein Geist, bloß viel mächtiger und größer. Es ist, als würde man einen Menschen und ein so unwichtiges Tier wie eine Maus miteinander vergleichen. Götter sind männlichen oder weiblichen Geschlechts. Sie haben ihren eigenen Willen und sind sehr mächtig. Sie leiten die Geschicke der Menschheit. Manche Völker verehren viele Götter, andere nur wenige oder bloß einen einzigen. Sie flehen sie um Vergebung oder Gaben an. Und die Shasinn tun nichts von alledem?« Malk neigte sich vor und wartete gespannt auf Haels Antwort. Offenbar fesselten ihn diese Dinge wirklich sehr.
Um das aufrichtige Interesse seines Gastgebers nicht zu enttäuschen, dachte Hael sorgfältig nach, ehe er antwortete. »Was du als Gott bezeichnest, gibt es bei uns nicht; es sei denn, die Geisterbeschwörer wissen davon. Sie weihen uns nicht in all ihre Geheimnisse ein. Wir kennen Geister, und sie sind allgegenwärtig, gleichgültig ob gut oder schlecht. Einzeln sind sie nicht sehr mächtig. Auch der Stich einer einzelnen Hornisse ist nur ein Ärgernis, wogegen hunderte eine tödliche Gefahr darstellen. Geister beeinflussen alles und haben eigene Bedürfnisse. Wir begreifen sie oft nicht, aber das ist ihnen gleichgültig. Wir müssen ihnen gehorchen. Durch gutes Betragen können wir sie erfreuen oder wenigstens besänftigen. Wir – wie hast du es gleich genannt? – ›beten‹ nicht, außer, wenn du unsere allabendliche Anrufung des Mondes dazu zählst. Er beeinflusst Regen, Fruchtbarkeit und Gezeiten, aber diese Dinge wechseln, ob wir nun zu ihm sprechen oder nicht.«
»Du bist ein bemerkenswerter junger Mann«, sagte Malk. »Es ist ein Vergnügen, sich mit jemandem zu unterhalten, der sich so ernsthafte Gedanken macht.«
Die rundliche Wirtin brachte ein großes Tablett, das sie auf den Tisch stellte. Früchte, kleine flache Brotlaibe, Gemüse, gekochte und gebratene Eier und Fleisch lagen auf einer Platte. Daneben stand eine Schüssel, die mit einem weißen Tuch abgedeckt war. Betont umständlich hob die Frau einen Zipfel des Tuches an, so dass nur Malk einen Blick in die Schale werfen konnte. »Das sind gesalzene Fische. Wenn du dich noch länger der Gesellschaft dieser Jungen erfreuen willst, darfst du sie nicht sehen lassen, wie du Fisch isst. Davon wird ihnen übel.«
Danats und Hael kicherten übermütig, durch den Wein beschwingt. »Wir versprechen, uns nicht zu übergeben«, beteuerte Danats. »Fisch ist uns verboten, und wir mögen den Geruch nicht, aber dafür denken alle anderen, dass unsere mit Blut vermischte Milch ekelhaft ist, obwohl ich das überhaupt nicht verstehe. Sicherlich sind die Säfte des Lebens, die man frisch von lebenden Tieren gewinnt, gesünder als das tote Zeug.« Er angelte sich eine Scheibe Fleisch und biss genüsslich hinein.
»Dir fällt bestimmt auf«, warf Hael ein, »dass er dieses ›tote Zeug‹ nicht verschmäht.«
Malk ergriff einen Brotlaib und belegte ihn mit Fleisch und Fisch. »Bei allen Völkern ist von größter Wichtigkeit, was sie essen und was nicht. Jedes hat Nahrungsmittel, die als rein oder unrein bezeichnet werden. Ein Seemann lernt schnell, weniger wählerisch zu sein.«
»Seht nur!« rief Danats. »Ein Sleen!«
Im Hafen ragte eine Felsenklippe aus dem Meer. Ein Wesen, das einer riesigen Schnecke ähnelte, zog sich mit großer Anstrengung hinauf. Es sah wie eine unförmige graue Masse aus, die sich auf flossenartigen Vorderbeinen fortbewegte, aus denen knochige, mit Klauen bestückte Finger ragten. Der fette Hals
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