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Der Insulaner

Der Insulaner

Titel: Der Insulaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Maddox Roberts
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Opfern der bösen Geister zu erwehren. Befinden sich diese Geister auf dem Schiff, können sie Krankheiten und Wunden verursachen, ein Leck in die Bordwand schlagen, Taue reißen lassen und Wein und Nahrungsmittel verderben.«
    Hael beschäftigte noch immer die Vorstellung des Schiffes als eines riesigen Tieres. »Hat ein Schiff seinen eigenen Geist, der durch die Augen am Bug sieht?«
    »O ja, jedes Schiff hat einen Geist. Er ist in der Galionsfigur dargestellt, die aber nur ein Symbol ist, da der Geist im Kiel haust. Du hast doch sicher die Stelle gesehen, wo der Mast sitzt … ich meine, im Holz verankert ist.« Hael nickte. »Nun, dort lebt der Geist eines Schiffes. Er ist übrigens immer weiblich.«
    »Welche Art von Magie benutzt ihr?« erkundigte sich Hael.
    Malk runzelte die Stirn. »In zivilisierten Ländern wird Magie von kundigen Leuten angewandt; von Zauberern, Priestern und dergleichen. Seid ihr Hirten auch Magier?«
    Hael starrte bewundernd auf die anmutigen grünlichen Wellen, die gegen den Strand schlugen. »Ich vermute, Seeleute kennen sich mit Wasser- und Windmagie aus. Wir Shasinn beherrschen wenig Magie, die auch nur die Herden betrifft. Die Jäger und Gebirgsbewohner verfügen über Feuermagie und Jagdzauber, und die Bauern über Erdmagie.«
    »Sicherlich handelt es sich bei einigen Dingen bloß um ganz besonders hoch entwickelte Fähigkeiten«, gab Malk zu bedenken. »Die Geschicklichkeit des einen Mannes wirkt auf den anderen nur manchmal wie Magie.«
    »Du hast eben das Wort ›zivilisiert‹ benutzt. Was bedeutet es?«
    Malk schenkte Wein nach. Der Krug war schon bedeutend leichter geworden. »Das ist schwierig zu erklären. Drüben auf dem Festland gibt es Menschen, die in Städten leben. Das sind sehr große Dörfer, aber selbst eine kleine Stadt ist so groß wie alle Dörfer, die du je gesehen hast, zusammengenommen. Die Häuser wurden aus Holz oder Stein gebaut, und die wenigsten Stadtbewohner beschäftigen sich mit der Gewinnung von Nahrungsmitteln. Sie sind weder Bauern, noch Fischer oder Hirten.« Er fuchtelte mit den Händen und suchte nach Worten, um den schwierigen Begriff besser erklären zu können. »Manche Leute malen Bilder, manche machen Musik und andere kaufen und verkaufen Waren. Einige arbeiten als Bauarbeiter oder Handwerker, wie der Schmied, der deine Speerspitze angefertigt hat. Wieder andere sind Krieger oder Magier, und alle üben nur ihre jeweilige Arbeit aus. Dann gibt es Gelehrte, die Wissen niederschreiben und es anhäufen, wie ein Bauer sein Korn speichert. Auch gibt es Menschen, die alle anderen regieren. Das nennt man Zivilisation.«
    Hael versuchte, sich das alles vorzustellen, aber es gelang ihm nicht. Er kannte nichts vergleichbares, nach dem er sich hätte richten können. »Wie gerne würde ich einen solchen Ort sehen. Leider ist es den Shasinn nicht gestattet, zu reisen.«
    »Vielleicht wirst du dennoch eines Tages eine Reise unternehmen. Es sind schon ungewöhnlichere Dinge geschehen. Einer meiner Matrosen stammt aus dem Gebirge. Eine Lawine vernichtete sein Dorf. Das ist ein Schneerutsch, der einen Berghang hinabgleitet, doch auch das scheint mir schwer zu beschreiben. Auf jeden Fall ist es sehr gefährlich, und er war der einzige Überlebende. Traurig verließ er die Berge. Bis zu diesem Tag – er war bereits ein erwachsener Mann – hatte er kein größeres Gewässer als einen kleinen Bergsee gesehen. Heute ist er ein ebenso guter Seemann wie andere, die an der Küste aufwuchsen.«
    Danats, der immer noch dümmlich grinste, kehrte zu ihnen zurück. »Ich habe dem Ruf der Shasinn alle Ehre gemacht«, erklärte er und stürzte sich auf die Essensreste.
    »Wir sollten besser aufbrechen«, fand Hael, »sonst suchen uns die Ältesten am Ende noch.«
    »Ehe du gehst«, sagte Malk, »möchte ich dich noch etwas fragen: Was erzählt sich dein Volk über die große Katastrophe, die vor langer Zeit über die Welt hereinbrach?«
    Hael zögerte und erinnerte sich der alten Geschichten, die er als Kind gehört hatte. »Man sagt, dass die Geister einst viel mächtiger waren als heutzutage. Sie beherrschten die Menschen und brachten sie um den Verstand. In jenen Tagen wussten die Menschen mit kraftvoller Feuermagie umzugehen und töteten einander damit. Zum Schluss schleuderten sie selbst dem Mond feurige Speere entgegen, die ihn so sehr verwundeten, dass die Narben heute noch sichtbar sind. Als die meisten Menschen tot waren, verloren die Geister ihre Macht.

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