Der Insulaner
sie ein wenig Kraft, sie hatte sich offenbar nie ganz von den alten Verletzungen erholt. Leider ermüdete Hael noch schneller. Noch nie im Leben hatte er einen so anstrengenden Kampf zu bestehen gehabt. Er wusste, dass er nur noch wenige Sekunden zu leben hatte, und es war zu spät, um zu fliehen. Er wandte sich dem Gegner zu, blieb still stehen und hob den Speerarm.
Das Tier verharrte, als erwarte es eine Falle und starrte ihn misstrauisch an. Als sich der Junge nicht regte, warf der Langhals noch einmal den Kopf zurück und riss das Maul weit auf. Für den Bruchteil einer Sekunde zögerte er, und Haels Hand schoss mit aller ihm verbliebenen Kraft vor. Die Waffe flog durch die Zahnreihen, bohrte sich in den Gaumen und blieb tief im Innern des Schädels stecken, mitten im Hirn des Ungeheuers.
Zitternd blieb der Langhals noch eine Weile stehen. Dann brachen die Augen, die Knie gaben nach, und er fiel auf die Seite. Der riesige Körper rollte herum, und der Kopf prallte mit dumpfem Klatschen auf den Boden, wobei der Speerschaft zerbrach. Ein oder zwei Minuten lang hoben und senkten sich die Flanken, die Beine des Wesens zuckten und offenbarten seinen Todeskampf. Dann lag es reglos am Boden.
Minutenlang war Hael außerstande, sich zu bewegen. Er wartete darauf, dass sich der Gegner wieder erhob und weiterkämpfte. Überrascht stellte er fest, dass er das Langschwert in der Hand hielt, als könne ihn die nutzlose Waffe beim Kampf gegen einen so furchtbaren Feind unterstützen.
Aber der Feind war besiegt, und er hatte ihn getötet! Es dauerte eine Weile, bis er es völlig begriffen hatte. Dann sah er sich nach Larissa um, aber sie war verschwunden. Sicher nahm sie an, er sei tot. Alles schien planmäßig verlaufen zu sein.
Nun, ganz gleich, wie es weiterging, ein Shasinnkrieger brauchte seinen Speer, und er musste alles daransetzen, die Überreste der Waffe zu bergen. Das erwies sich als schwierig, da die Spitze noch immer im Rachen des Langhalses steckte. Hael brauchte eine halbe Stunde, ehe er die Waffe mit Hilfe des Schwertes aus dem toten Ungeheuer herausgeschnitten hatte. Er säuberte die Spitze und den Griff im trockenen Gras, wickelte sie sorgfältig in die Schutzhülle und warf sich das Bündel über die Schulter. Schließlich verharrte er noch eine Weile, um den gefallenen Langhals zu betrachten, froh, dass der Kampf vorbei und das Tier von seinen langen Leiden erlöst war.
»Das ist ja ungeheuerlich!« sagte eine tiefe, volltönende Stimme hinter ihm. Langsam drehte sich Hael um. Natürlich war es Gasam. Er befand sich in Begleitung von ungefähr zehn Kriegern, von denen einige die schwarzen Schilde trugen. Hinter ihnen standen fünfzehn Frauen, die Kräuter für die Riten des dritten Mondes sammeln wollten.
»Wo ist Larissa?« fragte Hael.
»Larissa? Was hat sie mit dir zu schaffen?«
»Nichts, nehme ich an, denn sie hat ihren Zweck erfüllt.«
»Du redest Unsinn!« rief Gasam. »Du hast einen Langhals getötet, ein heiliges Tier! Dafür wirst du büßen, sonst wird der ganze Stamm unter dem Fluch der Geister zu leiden haben!«
Hael zog sein Schwert. »Aber erst, wenn ich dich getötet habe. Dafür werden mich die Geister lieben. Das gleicht dann mein Unrecht wieder aus.«
Er lief auf Gasam zu, aber seine Erschöpfung ließ nicht zu, dass er sich mit gewohnter Behändigkeit bewegte. Schon schlug ihm ein schwarzer Schild das Schwert aus der Hand, und er wurde von mehreren Kriegern ergriffen. Hael hatte nicht mehr die Kraft, sich zu wehren.
»Tötet den Narren!« befahl Gasam.
»Das hast nicht du zu bestimmen!« mischte sich eine der Frauen ein. Es handelte sich um Badira, Mindas Hauptfrau. »Diese Angelegenheit betrifft die Geister!«
»Stimmt«, meinte einer der älteren Krieger. »Wir halten ihn fest, aber wir werden ihm kein Leid zufügen.« Hael sah sich um, erblickte aber keinen seiner Brüder. Die Männer starrten ihn voller Bewunderung an. Und warum auch nicht? dachte er. Er hatte schließlich einen Langhals ganz allein besiegt, und das war in der Geschichte der Shasinn noch nie vorgekommen. Nur die Helden aus den Legenden, die über magische Waffen verfügten, schafften so etwas.
Die Krieger brachten Hael ins Dorf. Der Junge begriff allmählich, wie klug Gasam geplant hatte. Bestimmt hatte er erwartet, der Langhals würde Hael töten. Selbst wenn das nicht geschah, verletzte Hael ein uraltes Gesetz, wenn er der Bestie Schaden zufügte und sah einer strengen Bestrafung entgegen.
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