Der Insulaner
sich zu langweilen begannen, geschah etwas Außergewöhnliches.
Es war Abend, Hael kehrte von seinem Wachposten zurück und plauderte unterwegs mit seinen Kameraden. Sie hatten sich inzwischen verändert, waren erwachsener geworden, und die langen Monate der Wachsamkeit und der Kämpfe hatten ihnen den’ Ernst des Lebens deutlich vor Augen geführt. Dennoch waren sie vergnügt und guter Dinge. Auf dem Weg zum Lager kamen sie am Dorf vorbei, und Hael erblickte eine Gestalt, die neben dem Geisterpfahl stand, als habe sie auf die jungen Krieger gewartet.
An dem bunten Gewand sah man, dass es sich um eine Frau handelte. Als die Jungen sich näherten, winkte sie und rief Haels Namen. Stotternd vor Verlegenheit entschuldigte sich Hael bei den Kameraden, die ihn mit guten Ratschlägen überhäuften. Die Frau war Larissa. Als Hael auf sie zuging, hieß sie ihn mit einem Lächeln willkommen. Die Sonne sank allmählich tiefer, und der Geisterpfahl warf einen langen Schatten auf den Boden.
»Guten Abend, Hael. Ich habe dich lange nicht gesehen.«
»Wenn ich frei über meine Zeit verfügen könnte, hätten wir uns schon früher getroffen«, antwortete er und fragte sich, was sie von ihm wollte. Larissa schien unsicher und beunruhigt zu sein, ganz anders als sonst. Ein Funke Eitelkeit ließ Hael hoffen, dass sie seine Gegenwart aus dem Gleichgewicht gebracht hatte.
»In zehn Tagen findet das Fest des dritten Mondes statt. Ich habe die Pflicht, Kräuter für die Zeremonie zu sammeln. Einige davon wachsen in der Nähe des Sumpfes. Deshalb brauche ich Schutz. Würdest du mich morgen früh begleiten? Ihr Krieger habt das Land von Asasas und anderem Volk gesäubert, aber die wilden Tiere liegen weiterhin auf der Lauer.«
»Nur wir zwei?« fragte Hael verwundert. Üblicherweise begleiteten bei solchen Ausflügen mehrere Krieger eine ganze Gruppe Frauen.
»Wir haben schon fast alle Kräuter beisammen. Wenn wir erst dort sind, brauche ich weniger als eine Stunde, um die fehlenden zusammenzusuchen. Natürlich müssen wir uns nicht beeilen.«
Wäre Hael älter und weniger besessen von ihr gewesen, hätte er vielleicht Verdacht geschöpft. Aber so nahm er ihre Erklärung als gegeben hin. Sie hatte einen Grund gefunden, um mit ihm allein sein zu können. Wenn sie erst unterwegs wären, würde sie sich ihm anvertrauen.
»Natürlich«, sagte er und konnte vor Aufregung kaum sprechen. »Ich begleite dich. Danats kann meine Wache übernehmen.« Er würde seinem Bruder dafür ebenfalls einen Gefallen tun müssen, aber für ein paar Stunden mit Larissa war ihm kein Preis zu hoch.
»Dann treffen wir uns, sobald die Sonne aufgegangen ist.« Sie drehte sich um und ging ins Dorf zurück, und Hael war zu verwirrt, um ihr noch etwas nachzurufen.
Am gleichen Abend überredete er Danats, seine Wache zu übernehmen. Der Junge schimpfte, aber das tat er immer. Hael erzählte niemandem davon, denn er hatte keine Lust, sich den endlosen Spott der anderen anzuhören. Er war so aufgeregt, dass er kaum schlafen konnte, und erwachte am anderen Morgen mit geröteten Augen, aber voller Tatendrang.
Larissa erwartete ihn am Geisterpfahl. Sie trug ein rot-grün kariertes Gewand, und ihr helles Haar flatterte im Morgenwind. In der einen Hand hielt sie einen Weidenkorb, der einen Wasserschlauch und ein sichelförmiges Bronzemesser enthielt, mit dem sie Kräuter schneiden wollte. Mit ernster Miene wünschte sie ihm einen guten Morgen. Dann wanderten sie nach Osten.
Der Weg führte sie allmählich bergab, an den Herden und Kriegerlagern vorbei. Hael bemühte sich, von belanglosen Dingen zu plaudern, aber Larissa hielt sich zurück und gab nur knappe Antworten. Das wunderte den Jungen, da er sicher gewesen war, sie habe die Gelegenheit zu einem ausgedehnten Plausch nutzen wollen. Larissa schien so in Gedanken versunken, dass er ebenso gut gar nicht hätte vorhanden sein können.
Nach zwei Stunden erreichten sie den Sumpf. Von weitem sah er wie der Dschungel aus, besaß aber nicht dessen majestätisch anmutende hohe Bäume und viel dichteres Unterholz. Je näher sie kamen, umso deutlicher wurde der Geruch nach verrottenden Pflanzen, fauligem Wasser und übleren Dingen. Dennoch entbehrte der Ort nicht einer gewissen Schönheit. Unzählige Grünschattierungen, unterbrochen von riesigen bunten Blumen, herrschten vor. Vögel mit farbenprächtigem Gefieder und schrillen Stimmen flatterten über dem Sumpf. Zahllose Insekten schwirrten umher, und hin und wieder
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