Der Insulaner
die Buschmänner hatte er sich bestens geschlagen. Jetzt fehlte ihm nur noch ein Kampf von Mann zu Mann, und zwar bei Tageslicht, um seine Ausbildung zum erfahrenen Krieger abzurunden. Solche Schlachten waren auf der Insel recht selten, und es konnte Jahre dauern, bis sich eine Gelegenheit bot. Aber sicher würde er noch einiges erleben, ehe er seinen Speer an einen unerfahrenen Jüngling abgeben musste.
Dennoch war nicht alles so, wie er es sich wünschte. Gasam wurde von Tag zu Tag eingebildeter und herrschsüchtiger. Immer wieder versuchte er, sich mit dem Ruhm anderer zu schmücken und schmeichelte sich bei den einflussreichen Leuten des Stammes ein. Der Kreis seiner Bewunderer wuchs, und Hael kam es vor, als sehe er, wohin er auch blickte, in letzter Zeit immer mehr schwarze Schilde.
Zum Glück gehörten die wenigsten von Gasams Anhängern zu den Nachtkatzen. Die jungen Krieger kannten Gasam einfach zu gut. Aber Hael fiel auf, dass keiner seiner Brüder sich mehr über Gasams Ehrgeiz lustig machte. Sie fingen an, ihn zu fürchten. Um sich deutlich von seinem Stiefbruder abzuheben, trug Hael sämtliche Schmuckstücke, die er dem getöteten Asasahäuptling abgenommen hatte. Selbst das Schwert schleppte er immer mit sich herum, obwohl er noch nicht damit umgehen konnte.
Das lag daran, dass es bei den Shasinn niemanden gab, mit dem er hätte üben können. Sein Stamm besaß Speere, Wurfstäbe, ein paar Äxte und Kurzschwerter. Das Langschwert war eine ungebräuchliche Waffe und auch bei den feindlichen Stämmen äußerst selten anzutreffen. Erst in den letzten Jahren waren diese Waffen durch Händler vom Festland auf die Inseln gekommen. Manch einer fand, das Schwert verleihe dem Träger eine würdigere Erscheinung, sei aber sonst zu nichts nütze. Hael jedoch vermutete, es könne sich als todbringende Waffe erweisen, wenn man es nur richtig zu handhaben verstand.
Beim Wurf auf die Zielkörbe erwies sich das Schwert als wenig zielsicher, im Gegensatz zum Speer, dessen Schaft im Verhältnis zur Spitze genau ausbalanciert war. Wenn Hael Schläge ausführte, so richteten sie völlig unterschiedlichen Schaden an. Das Langschwert war eine schwierige Waffe, aber beim täglichen Üben vergaß er, über seine anderen Probleme nachzugrübeln.
Eines davon hieß Larissa. Trotz Tata Mals gutem Rat konnte er seine Hoffnungen nicht verdrängen, und während der langen, einsamen Nachtwachen dachte er fortwährend an sie. Als Kinder waren sie einander nahe gewesen, aber nun waren sie fast erwachsen. Seitdem er wieder im Kriegerlager lebte, sah er sie nur selten. Hael befürchtete, dass er die Frau Larissa gar nicht richtig kannte, sondern sie in seinen Träumen mit den ihm genehmen Eigenschaften ausstattete und von ihrem Gesicht und ihrem Körper besessen war. Letzterem widmete er mehr als nur ein paar flüchtige Gedanken.
Bei den seltenen Gelegenheiten, wenn sie zusammentrafen, wollte sie immer über Gasam sprechen. Hael hatte keine Erfahrung mit Frauen und wusste nicht, ob sie wirklich in seinen Stiefbruder verliebt war oder nur seine Eifersucht erregen wollte. Letzteres gelang ihr jedes Mal. Am schlimmsten fand Hael, dass er mit niemandem darüber reden konnte. Seine Brüder würden ihn mitleidlos verspotten, und Tata Mal würde ihm raten, Larissa zu vergessen. Sein Stolz ließ es nicht zu, sich einer älteren Frau anzuvertrauen, was wahrscheinlich am vernünftigsten gewesen wäre. Also litt er still vor sich hin. Junge Männer neigen dazu, sich wegen bestimmter Frauen das Herz schwer zu machen.
Tagsüber gab es jedoch genügend Ablenkung für Hael. Die Kaggas mussten versorgt werden; es galt, mit den Waffen zu üben – und hin und wieder wurden Feste gefeiert. Außerdem trieben die Shasinn regen Handel. Mehr Kälber als erwartet hatten die lange Wanderung überlebt und wurden bei den Einheimischen gegen Waren oder Dienstleistungen eingetauscht. Zwei Tagesmärsche im Osten lag Turwa, und zweimal durfte Hael eine Herde dorthin begleiten. Der Ort glich dem ersten Hafen fast bis aufs Haar, und er erkundigte sich sofort nach der Wellenfresser. Beide Male lag das Schiff nicht vor Anker, aber die Dorfbewohner wussten zu berichten, dass es in regelmäßigen Abständen anlegte. In den nächsten Wochen wurde es wieder erwartet. Hael hoffte, dem Kapitän noch einmal zu begegnen, um das interessante Gespräch fortsetzen zu können.
Nach einigen Monaten ging das tägliche Leben den gewohnten Gang. Gerade, als die jungen Krieger
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