Der Insulaner
breitkrempige Strohhüte, um die blasse Haut vor der sengenden Sonne zu schützen. Ihre Gewänder waren bedeutend aufwendiger als die einfachen Kleider, die sein Volk zu tragen pflegte. Er verbesserte sich: sein ehemaliges Volk.
Ein paar Bewaffnete schritten an ihnen vorüber und warfen Hael misstrauische Blicke zu, als sie seinen Speer und das Schwert bemerkten. Die Männer waren mit kurzen Tuniken bekleidet, und die bloßen Füße steckten in schweren Ledersandalen. Die Körper schützten Rüstungen aus Horn- oder Knochenplatten, die wie Fischschuppen angeordnet waren. Bis auf einen Offizier, der einen Helm trug, bestanden die Kopfbedeckungen aus enganliegenden Kappen aus gehärtetem Leder. Sie waren mit Kurzschwertern und Speeren bewaffnet.
»Waren das Soldaten?« erkundigte sich Hael, als die Männer sie passiert hatten.
»Ja«, nickte Malk. »Wahrscheinlich die Torhüter, die auf dem Weg zur Nachtwache sind.«
»Ich fand sie nicht besonders eindrucksvoll«, sagte der Junge.
»Fünf wirken nicht beeindruckend, wenn sie eine Straße entlangmarschieren. Zehntausend aber, die auf dem Schlachtfeld Aufstellung nehmen, bieten einen beeindruckenden Anblick.«
»Mit welchem Tempel fangen wir an?«
»Ich muss in den Tempel des Aq, des Meergottes. Von den Kapitänen wird erwartet, dass sie Aq ein Opfer zum Dank für die sichere Reise bringen. Da ich hier nicht im Heimathafen bin, reicht ein bescheidenes Opfer. Kehre ich aber nach Kasin zurück, werde ich dem Tempel eine große Spende machen, da meine Reise erfolgreich und ohne Unglücksfälle verlief.«
»Ist Aq ein bedeutender Gott?«
»Für die Seefahrer schon. Ganz besonders in den Hafenstädten. Oh, da sind wir auch schon.« Sie hatten einen kleinen Platz erreicht, und auf der gegenüberliegenden Seite lag eine überdachte Säulenhalle. Die Stufen, die hinaufführten, waren aus seegrünem Marmor gefertigt und die Säulen mit Mosaiken aus dem gleichen Material verziert. Die Wandbemalung stellte die Wellen der See dar, in denen sich Fische und andere Meeresbewohner tummelten. In der Halle nahmen bartlose Männer die Opfergaben der Gläubigen entgegen.
Durch grüne und blaue Glasscheiben im Dach fiel gedämpftes Licht in den Innenraum der Halle. Auch hier schmückte das Wellenmuster sämtliche Wände. Am entgegengesetzten Ende des Raumes saß der Gott auf einem Thron. Malk hatte Hael erklärt, dass die Skulpturen der Gottheiten mit den Geisterpfählen der Shasinn gleichzusetzen waren, da sie den Angebeteten verkörperten. Die Figur war kunstvoll geschnitzt, aber Hael konnte das verwendete Material nicht bestimmen, da es bemalt worden war. Kleidung, Haut und Haare waren in verschiedenen Tönen der Grundfarbe gehalten, und man hatte die Statue mit Seetang behängt. Da der Junge dergleichen noch nie gesehen hatte, dauerte es geraume Zeit, bis ihm auffiel, dass der Thron aus einer riesigen Muschel bestand. Der Gott selbst hatte die Gestalt eines gutaussehenden Mannes mittleren Alters mit kantig gestutztem Bart. In einer Hand hielt er einen Dreizack, die andere ruhte auf dem Steuerrad eines Schiffes. Die Schönheit des Tempels nahm Hael gefangen, aber er spürte keinerlei Anwesenheit eines Geistes. Vielleicht lag es daran, dass er aus einem anderen Land stammte und die hiesigen Geister nicht kannte. Malk hatte ihm einmal erklärt, dass die Götter in weiter Ferne in einem ihnen allein vorbehaltenen Land lebten. Von dort aus kümmerten sie sich hin und wieder um die Geschicke der Menschheit. Wahrscheinlich war dies der Grund, warum an diesem Ort nichts Übersinnliches zu spüren war, wenn der Gott so weit entfernt weilte. Hael wunderte sich, wie der Künstler ohne göttliche Hilfe ein so wundervolles Abbild hatte schaffen können.
Malk unterhielt sich mit einem Priester – denn um diese handelte es sich bei den bartlosen Männern – und reichte ihm seine Opfergabe. Dann warf der Kapitän eine Handvoll Weihrauch in eine Räucherpfanne, die vor der Statue Aqs stand. Anschließend gab er Hael einen Wink, und die beiden verließen den Innenraum des Tempels. Als sie die Stufen hinabschritten, machte Hael seinen Zweifeln über die Anwesenheit des Gottes Luft.
»Du bist nicht der einzige, der so empfindet«, meinte Malk. »Die Anbetung einer Gottheit kann zur nichts sagenden Gewohnheit werden, und manche Priester sind gierig. Aber dennoch verehren die Menschen ihre Götter, und es ist immer besser, das zu achten.«
»Das will ich auch gar nicht in Frage stellen!« rief
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