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Der Insulaner

Der Insulaner

Titel: Der Insulaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Maddox Roberts
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sammelte.
    »Manche glauben, um es vor dem Zersetzen zu bewahren, aber das ist unwahrscheinlich, da man es nur mit größter Anstrengung von den Steinen lösen kann. Glücklicherweise taten sie es, denn sonst gäbe es heute kein Eisen. Niemand hat jemals Eisenadern entdeckt, obwohl es doch manchmal vorkommt, Gold in freier Natur zu finden.«
     
    Sie gingen im Hafen von Floria vor Anker. Hier mündete ein kleiner Fluss, der sich seinen Weg aus dem bergigen Hochland in die Tiefe suchte, ins Meer. Die vorteilhaft gelegene Bucht wurde von steilen Hügeln eingerahmt, an deren Hänge sich die Häuser schmiegten. Die meisten Gebäude bestanden nicht aus Holz, sondern aus Steinen oder Ziegeln. Sie waren weiß getüncht. Die Dächer hatte man größtenteils mit gebrannten Tonziegeln gedeckt, und der erste, überwältigende Eindruck auf den verblüfften Hael bestand aus einem Gemisch von Weiß und Rot.
    Abgesehen von unzähligen Wohnhäusern gab es viele größere Gebäude, von denen einige überaus prachtvoll anzusehen waren. »Sind das Tempel?« fragte Hael und wies auf eine ganze Gruppe dieser Bauwerke, die sich an einem Hang dicht über dem Hafen erhob.
    »Einige schon«, antwortete Malk. »Aber das kleinere auf der rechten Seite ist der Gerichtshof und das daneben, mit dem Schindeldach, diente als ein überdachter Marktplatz.«
    »Ich muss unbedingt die Tempel sehen«, sagte Hael eifrig. Der Gedanke an die Götter fesselte ihn nach wie vor.
    »Das wirst du auch«, versprach ihm Malk.
    Besonders faszinierend fand der Junge, dass diese Stadt ihre Bezeichnung wirklich zu recht trug. Bisher hatte er keine größere Ansammlung von Gebäuden als die Küstendörfer von Gale gesehen, und dieser Ort war hundertmal größer. Darauf hatte er sich jedoch vorbereiten können, denn seine Kameraden hatten an Bord immer wieder beiläufig über Städte mit zehn- oder hunderttausend Einwohnern gesprochen. Meistens redeten sie über Kasin, die Hauptstadt des Königreiches Neva. Gerüchten zufolge sollte der Ort beinahe eine Million Einwohner haben; eine Zahl dieser Größe war jedoch für Hael nicht vorstellbar. Auch die übrigen Matrosen hatten keine klare Vorstellung davon, wussten aber, dass es sich um eine ungeheuerliche Anzahl Menschen handelte.
    »Ich kann dir die Zahl aufschreiben«, meinte Malk und malte sie auf eine Planke auf, »aber richtig vorstellen kann ich sie mir genauso wenig wie du. Das kann einfach niemand. Lass dich bloß nicht als Barbaren verspotten, weil dich diese Zahlen verwirren. Selbst der gelehrteste aller Weisen, der je auf der Welt gelebt hat, könnte sich nicht mehr als höchstens zwanzig einzelne Wesen bildlich vorstellen. Die ganze Sache ist … nun, abstrakt. Verstehst du, was das bedeutet?«
    »Ich glaube schon«, meinte Hael. »Aber wenn ein Mann sich nur so wenig bildlich vorstellen kann, wie kommt es dann, dass ich beim Anblick unserer Kaggaherde, die drei- oder vierhundert Tiere zählt, innerhalb von Sekunden weiß, wenn eines fehlt?«
    »Dann stellst du dir ja nicht alle Tiere auf einmal im Kopf vor«, antwortete Malk mit der Begeisterung, die er so kniffligen Fragen immer widmete. »Das ist die Arbeit, die ein geübtes Gedächtnis leistet. Sobald du alle Tiere einer Herde genau kennst, spürst du, wenn eines fehlt. Dabei arbeitet dein Gehirn wie ein Filter, wie man ihn zum Bierbrauen benutzt. Alles, was unwichtig ist, bleibt unbeachtet, aber die wichtigen Sachen werden sofort zur Kenntnis genommen. Dein Auge, das bedeutend schneller arbeitet als dein Gehirn, überfliegt die gesamte Herde, bemerkt, dass alle Kaggas da sind und sagt dir zum Schluss, dass eine bestimmte Hornkrümmung oder Fellzeichnung nicht zu sehen war, obwohl du gar nicht darüber nachgedacht hast. Verstehst du, was ich meine?« Er schlug mit der Faust in die offene Handfläche der anderen Hand – ein Zeichen, dass er zum Kern der Erklärung kam. »Also, wenn man dich plötzlich zu einer anderen Herde schickt, die dir fremd ist, würdest du schon am nächsten Tag wissen, ob ein Tier fehlt? Oder gar zehn? Wenn es zu wenige wären, um in der Menge aufzufallen?«
    »Ich muss gestehen«, lachte Hael, »dass ich es nicht merken würde. Ich habe begriffen, was du sagen willst. Übrigens, was ist Bier?«
    »Genug!« rief Malk und rang die Hände. »Du bist wie ein zehnjähriges Kind, das die Welt nicht kennt und gar nicht genug Antworten auf alle Fragen bekommen kann! Lass mich in Ruhe mein Schiff in den Hafen bringen. Später gehen wir

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