Der Insulaner
schnauben.
Mit leuchtenden Augen kletterte Shazad über den Zaun. »Du steckst wirklich voller Überraschungen.«
»Du auch«, erwiderte der Junge und nahm das Schwert und den Speer an sich. »Aber ich wusste auch nicht, wie du sein würdest. Du bist die erste Edelfrau und Priesterin, die ich kennen lerne, und noch dazu war heute mein erster Tag in einer so großen Stadt. In meiner Heimat ist alles ganz anders.«
»Du hast dich aber blitzschnell eingewöhnt.«
»Das muss ich. Ich bin der Fremdling hier und kann nicht erwarten, dass sich die ganze Welt nach dem richtet, was ich bisher kannte.«
»Das ist ausgesprochen klug von dir. Du würdest staunen, wie viele Leute genau das erwarten.« Sie warf einen Blick in den Pferch, in den zwei Männer gerade ein anderes Cabo führten, das bedeutend ruhiger und gelassener wirkte als sein Vorgänger.
»Nun, ich muss heute noch ein wenig reiten. Wir sehen uns beim Abendmahl, und vielleicht finden wir anschließend noch Zeit, um uns zu unterhalten.«
Plötzlich, wie es ihre Art zu sein schien, drehte sie sich um und ging davon. Hael gelobte sich innerlich, dass der Tag kommen würde, da sie nicht länger wagen würde, ihn so zu behandeln.
Als er in sein Zimmer zurückkehrte, dachte er kaum noch an Shazads Überheblichkeit, sondern an seinen Ritt auf dem Cabo. Nicht einmal in seinen wildesten Träumen hatte er sich etwas, so faszinierendes vorstellen können. Außerdem dachte er an die vielen Dinge, die man mit diesen Tieren bewerkstelligen konnte. Was hatte Shazad gesagt? Dass sie im Kampf, bei Rennen und bei der Jagd eingesetzt wurden? Ihm war bewusst, dass die Edelleute diese herrlichen Tiere für sich behalten wollten. Auch fragte er sich, was es mit den ungeeigneten Kreaturen auf sich hatte, die man aussortierte. Wofür waren sie ungeeignet?
Anscheinend arbeiteten die Edelleute auch nicht selbst mit den Cabos – und es kam ihnen nicht in den Sinn, die Tiere für etwas anderes als zum Kampf und zum Zeitvertreib zu benutzen. Hael aber dachte daran, was die Cabos für ein Hirtenvolk bedeuten würden. Wenn sie beritten waren, konnte eine Handvoll Männer eine riesige Herde bewachen. Er erinnerte sich an den langen anstrengenden Zug seines Stammes in neue Weidegründe, bei dem sich die Geschwindigkeit nach den langsamsten Lebewesen richten musste. Welch einen Unterschied es machen würde, wenn die Menschen reiten könnten und ihre Habe auf Packtiere laden würden. Sie wären jederzeit beweglich und hätten damit die absolute Herrschaft über das Grasland. Darüber musste er noch eingehend nachdenken.
Zurück im Palast, wusch er sich erst einmal den Staub vom Körper. Als er aus dem Bad kam und sein Zimmer betrat, hatte man ihm neue Kleidung bereitgelegt. Außer einer Tunika aus dem glänzenden Stoff lagen noch ein juwelenbesetzter Gürtel und Sandalen aus feinstem Leder bereit. Zuerst wollte er die Sachen anziehen, hielt dann aber inne. Wollten ihm diese Leute eine Höflichkeit erweisen oder aber ihn zu einem der ihren machen? Besser gesagt: Nicht wirklich zu einem der ihren, sondern lediglich zu einer armseligen Nachahmung der Städter. Er schleuderte die Kleidungsstücke zurück auf das Bett und legte sein abgewetztes Katzenfell an. Er wollte seine Gastgeber nicht beleidigen, dachte aber auch nicht daran, seinen Stolz hinunterzuschlucken.
Die Sonne stand bereits tief am Himmel, als eine Sklavin ihn abholte. Die Frau hatte sehr dunkle Haut, wie Hael es bei den Jägern auf Gale gesehen hatte, aber ihr buschiges Haar war von rötlicher Farbe. Er nahm seinen Speer und das Schwert an sich.
»Das ist nicht notwendig, Herr«, sagte die Frau mit gesenktem Blick.
»Für einen Krieger schon«, gab er zurück und folgte ihr.
Der Speisesaal wurde von Öllampen erhellt. Die Gäste wandten sich bei seinem Eintritt um und rissen die Augen auf, als sie Haels barbarische Kleidung bemerkten. Pashir hatte am Kopfende des Tisches Platz genommen und deutete auf einen freien Stuhl. Hinter jedem Sitz stand ein Sklave, und Hael reichte dem Mann die Waffen, als er sich niederließ. Shazad saß ihm gegenüber und blickte ihn belustigt an. Ein Hauch von Bosheit lag in ihren Augen, der Hael nicht verborgen blieb.
Pashir stellte den Jungen den übrigen Gästen vor. Neben ihm saß der Kaufmann Shong, ein grimmig dreinblickender Mann mit wettergegerbtem Gesicht. Neben Shazad saß Marakh, der Botschafter von Omia, einem Land im Nordosten. Hael zur Rechten saß Marakhs Frau Meletta. Sie
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