Der Insulaner
Ställen bestätigte meine Meinung. Und heute Abend hast du dich in einer Gesellschaft, die manch einen bedeutend höhergestellten Mann eingeschüchtert hätte, gut behauptet. Bitte nimm mir meine Worte nicht übel.«
»O nein, gewiss nicht.«
»Und wie du mit dieser Schlampe Meletta fertig geworden bist … nun, das ist eine andere Geschichte.«
Sie betraten die Terrasse, auf der sich die Wachen um rauchende Kohlenbecken versammelt hatten. Beim Anblick ihres Herrn nahmen sie sofort Haltung an.
»Übrigens darfst du nicht denken, dass ich deine Geste, die Stammeskleidung zu tragen, missverstanden habe. Die anderen haben wahrscheinlich geglaubt, es geschehe aus Unwissenheit, aber ich weiß es besser.«
»Ich wollte dich nicht …«
»Ich weiß«, unterbrach ihn Pashir. »Aber es gibt noch mehr, was ich dir sagen möchte. Du bist sehr begabt, mein Junge, aber glaube nicht, dass du deshalb ohne weiteres in höchsten Kreisen verkehren kannst. Ich hatte einen Grund, weshalb ich deine Teilnahme an Shongs Expedition wünschte. Ich möchte, dass du Kasin so schnell wie möglich verlässt. Wundert dich das?«
Hael war völlig verwirrt. »Nun, ich …« Er verfluchte sich für seine Unsicherheit, aber Pashir schien nichts anderes erwartet zu haben.
»Hör zu. Du würdest in Kasin sehr schnell emporkommen, aber ebenso schnell wieder fallengelassen werden. Klugheit allein reicht nicht, auch nicht Mut oder Talent. Erfahrung zählt in der Stadt, und genau die fehlt dir. Kasin frisst junge begabte Männer förmlich auf. Schließe dich Shongs Expedition an, und lerne viele verschiedene Menschen kennen. Wenn du älter und erfahrener bist, musst du zurückkehren. Wenn du bis dahin überlebst, wird die Zeit kommen, in der du reif bist für einen Aufstieg in der Gesellschaft.«
Hael war nicht sicher, was er sagen sollte. Der Mann schien es ehrlich zu meinen. Sicher hatte er recht, was Haels Unerfahrenheit im Umgang mit den bedeutenden Persönlichkeiten von Kasin betraf. Nachdem sich der Junge reichlich verwirrt von seinem Gastgeber verabschiedet hatte, machte er sich auf den Weg zu seinem Zimmer. Er hatte einen langen, aufregenden Tag hinter sich, der jedoch noch nicht zu Ende war.
Vor der Tür seines Zimmers erwartete ihn eine Sklavin, die auch der hellhäutigen, schwarzhaarigen Rasse angehörte wie die Frau, die auf der Harfe gespielt hatte. »Die Herrin Shazad wünscht Euch zu sehen, Herr«, sagte sie mit gesenktem Blick.
»Dann führe mich zu ihr.« Haels Erschöpfung wich, da er voller Neugier und Aufregung einem Treffen mit Shazad – unter vier Augen – entgegensah. Er ermahnte sich, stets wachsam zu bleiben, denn er hatte nicht vergessen, wie sein letztes Zusammensein mit einer jungen Frau ausgegangen war.
Die Gänge und Flure wurden von Kerzen und Öllampen erhellt. Überall huschten Sklaven umher, deren einzige Aufgabe das Kürzen der Dochte und das Auffüllen der Lampen zu sein schien. Weihrauch stieg aus Kohlenbecken empor, erfüllte die Luft mit seinem angenehmen Duft und vertrieb die nächtlichen Insekten.
Die Sklavin brachte ihn in einen Raum, in dem Dutzende von Kerzen brannten. Der Raum war mindestens zehnmal so groß wie Haels Zimmer, und an den Wänden hingen farbenprächtige Teppiche. Der Fußboden war mit so vielen Kissen und niedrigen Tischen bedeckt, dass er kaum noch zu erkennen war.
Eine kunstvoll gefertigte Statue erregte Haels Aufmerksamkeit. Sie war ungefähr einen halben Schritt hoch, und er musste das Gewirr ineinander verschlungener Gliedmaße längere Zeit eingehend betrachten, ehe er erkannte, dass es sich um einen Mann und eine Frau handelte, die sich miteinander vereinigten. Auf ihren Gesichtern spiegelte sich ein Ausdruck, den man sowohl als Wut wie auch als Ekstase deuten konnte.
»Der Gott Palumwa und die Göttin Rheone zeugen das Universum«, erklärte Shazad. Hael drehte sich um. Sie stand in der Tür und hatte sich umgekleidet. Jetzt trug sie ein so hauchzartes Gewand, dass es im Kerzenlicht wie feiner Nebel aussah. »Der Akt der Vereinigung wird bei den Göttern genauso vollzogen wie bei den Menschen.«
Hael sah wieder zur der Statue hinüber. »Anscheinend sind die Götter aber viel biegsamer als die Menschen.«
»O nein!« rief sie belustigt aus. »Diese Stellung wird von der Sekte Palumwas und Rheones bevorzugt, aber sie verlangt viel Übung und eigentlich mehr als nur zwei Teilnehmer.«
»Ich dachte, du bist eine Priesterin des Sturmgottes.«
»Das liegt an dem hohen Rang
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