Der Insulaner
Leinen waren am Maul des Tieres befestigt, das sich immer wieder aufbäumte. Nie zuvor hatte Hael ein Geschöpf von solcher Schönheit gesehen. Weder eine ungewöhnliche Farbe noch auffällige Fellzeichnung unterstrichen die Anmut des Tieres, allein die vollendeten Proportionen des Körpers reichten aus, ihm den Atem zu rauben. Das braune Fell glänzte im Sonnenlicht. Die Beine waren lang und zierlich, wirkten aber doch so kräftig wie die eines Langhalses. An Stelle von Klauen oder gespaltenen Zehen saß am Ende jedes Beins ein einzelner Huf. Das hatte Hael noch bei keinem Tier gesehen. Die Brust des Braunen war breit und muskulös, die Lenden schmal – und die Hinterbeine vermittelten den Eindruck ungezügelter Kraft. Der lange, dichte Schweif des Geschöpfes berührte beinahe den Boden.
Auf dem hochaufgerichteten gewölbten Hals, den eine kurze Stehmähne schmückte, saß ein langer schmaler Kopf mit kleinen Ohren und großen, klug wirkenden Augen. Unter dem Kinn hing ein seidiger Bart. Die Hörner waren kurz und bogen sich nach hinten, wobei sie einen fast geschlossenen Kreis bildeten. Als das Tier näher kam, sah Hael, dass die Leinen an Ringen befestigt waren, die man dem Wesen durch die Unterlippe gezogen hatte.
Aber nicht allein die außergewöhnliche Schönheit fesselte Hael. Dieses Geschöpf strahlte eine so überwältigende übersinnliche Kraft aus, dass der Junge für einen Augenblick erstarrte. Nicht einmal der Langhals hatte eine derartige Ausstrahlung besessen. Er war so gebannt, dass er die sich von hinten nähernden Schritte nicht vernahm.
»Du hast aber schnell zu den Ställen gefunden.« Obwohl es sich um Shazads Stimme handelte, konnte er sich kaum überwinden, den Blick von dem Tier abzuwenden und sie anzusehen.
»Nie zuvor sah ich ein so schönes Wesen. Ist das ein Cabo?«
»Ja. Du hast noch keines gesehen? Das glaube ich. Übrigens würdest du jede Frau überaus glücklich machen, wenn du sie so ansehen würdest, wie du das Cabo gerade betrachtet hast.« Shazad hatte sich umgezogen und trug nun ebenso kurze Lederhosen wie die Männer hier, nur waren ihre unter dem Knie zusammengeschnürt, und ihre Füße steckten in hohen Lederstiefeln, die bis über die Waden reichten. Dazu trug sie ein blütenweißes Hemd mit bauschigen Ärmeln aus dem glänzenden, Hael unbekanntem Stoff.
»Wie ist es möglich, dass ein so edles und stolzes Geschöpf Menschen auf seinem Rücken duldet und ihnen gehorsam ist?«
»Nun, einfach ist es nicht«, antwortete das Mädchen. »Zuerst muss man sie zähmen. Dieses hier ist noch halb wild. Es heißt Mondfeuer und stammt aus den besten und ältesten Blutlinien. Diese Tiere setzt man nur bei der Jagd oder im Krieg ein, manchmal laufen sie auch Rennen. Für alles andere sind sie viel zu ungebärdig. Es gibt auch weniger hoch im Blut stehende Cabos, mit denen man gewöhnliche Ausritte unternehmen kann, aber auch die können sich nur wohlhabende Leute leisten.«
»Weshalb gibt es nur so wenige? Man sollte glauben, sie vermehren sich wie Kaggas. Dann könnte sich jedermann eines halten.«
»Die Cabozucht ist ein langwieriges, kostspieliges Unterfangen. Die Urcabos waren bedeutend kleiner, und bei den Nachkommen muss man sorgfältig darauf achten, dass sie die jetzige Größe haben, sonst kann man sie nicht reiten. In den vergangenen Jahrhunderten zogen sie Streitwagen, da sie zu klein waren, um Menschen tragen zu können. Erst in den letzten dreihundert Jahren konnte man sie als Reittiere verwenden. Es wird immer nur ein Junges geboren. Manche sind untauglich und werden aussortiert, und die Ausbildung dauert lange. Das ist nichts für gewöhnliches Volk.«
Sie wandte sich den Männern im Pferch zu. »Sattelt ihn!«
Gespannt beobachtete Hael, wie die beiden Burschen am Kopf des Cabos die Leinen fester packten, während die übrigen den Haufen aus Decken und Lederriemen vom Boden aufhoben. Sie bewegten sich rasch und geübt. Einer von ihnen legte dem Tier eine gefaltete Decke über, während die anderen das seltsame Gestell darauf setzten und die Ledergurte unter dem Bauch des Cabos zusammenschnürten. In der Zwischenzeit hatte ein weiterer Mann zwei Lederriemen in die Lippenringe eingehakt. All das dauerte nicht länger als zehn Sekunden.
»Fertig, Herrin!« verkündete einer der Männer und verneigte sich. »Er ist heute ein wenig ungestüm. Lasst mich ihn erst abreiten, ehe Ihr aufsitzt.«
»Tu das«, stimmte Shazad zu. Sie wandte sich an Hael: »Ich bin heute
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