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Der italienische Geliebte (German Edition)

Der italienische Geliebte (German Edition)

Titel: Der italienische Geliebte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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zwischen Bologna und Florenz wurde aus Tessa Nicolson die Signora Bruno, eine ruhige, ehrbare Witwe. Sie fand eine kleine Wohnung im Oltrarno-Viertel und Arbeit in einem Modegeschäft in der Via de’ Tornabuoni. Sie lernte, mit ihrem geringen Lohn auszukommen. Sie kochte sogar selbst, obwohl das nicht zu ihren Talenten gehörte.  
    Zurück in Florenz, erinnerte sie sich an Guido Zanetti. Er war ihre erste Liebe gewesen, und während sie die Stadt, in der sie beide aufgewachsen waren, neu entdeckte, erinnerte sie sich auch wieder der Wonnen und des Schmerzes jener ersten Liebe, ihrer ganz besonderen, bitteren Süße. Sie hatte sich umgehört und erfahren, dass Domenico Zanetti gestorben war und Guido die Seidenwerkstätten übernommen hatte. Er lebte mit seiner Frau und einem Kind im Palazzo Zanetti in der Via Ricasoli. Er musste jetzt fast dreißig sein, vielleicht nicht mehr die strahlende, aristokratisch wirkende Erscheinung von einst. Vielleicht hatte er um die Mitte ein wenig angesetzt, und das lockige dunkle Haar begann sich über der Stirn zu lichten. Als verheirateter Mann war er wahrscheinlich bequem und vermutlich auch eine Spur selbstzufrieden geworden. Nein, sie hatten heute sicher nichts mehr gemeinsam.  
    Im September 1939, nach der Besetzung Polens durch die Deutschen, blieb Italien zu Tessas Erleichterung neutral. Vielleicht würde sie an dem bescheidenen Leben, in dem sie sich eingerichtet hatte, festhalten können. Vielleicht würde der Krieg nichts ändern. Die Monate verstrichen. Sie ging keine engen Freundschaften ein und wehrte Einladungen der anderen Frauen im Laden ab, indem sie sich auf ihre vorgebliche Witwenschaft berief. In dem Antiquariat unter ihrer Wohnung arbeitete ein Mann, Mitte dreißig, freundlich, ein wenig rundlich und mit Brille, der ihr stets Guten Morgen wünschte. Manchmal trank sie in dem kleinen dunklen Laden, in dem es nach altem Papier und Spinnweben roch, einen Kaffee mit ihm. »Ich würde Sie ja bitten, einmal mit mir essen zu gehen«, sagte er eines Abends, als er seinen Laden schloss, »wenn ich auch nur das kleinste Fünkchen Hoffnung hätte, dass Sie zusagen, aber es besteht keine Chance, wie?«  
    Sie hatte gelernt, sich auf nichts einzulassen. Wenn man gar nicht erst mit einem Mann essen ging, würde es nie zu einem Kuss kommen. Wenn man ihn nicht zum Geburtstag einlud, würde man nicht am Ende mit ihm ins Bett gehen. Wenn man vorsichtig war, verliebte man sich nicht in den Falschen und wurde nicht verletzt. In der Rückschau meinte Tessa zu erkennen, dass viele ihrer Liebhaber falsche Männer gewesen waren.  
    Sie war in diesem harten Winter 39/40 oft sehr einsam. Die Sonntage waren am schlimmsten, mit ihrer erzwungenen Muße und dem Anblick glücklicher Familien, die im Sonntagsstaat auf den Straßen spazieren gingen. Es fiel ihr schwer, sonntags etwas mit sich anzufangen – nähen, lesen, waschen, ein Spaziergang – und noch schwerer, die Trauer abzuwehren, die sie bedrängte wie die Enge ihres Zimmers.  
    An einem bitterkalten Sonntag, als der Himmel wie eine graue Betonplatte auf die Stadt drückte, ging sie zum Bahnhof, um die Abfahrtszeiten der Züge nachzusehen. Sie würde nach England zurückkehren; sie vermisste Freddie. Oder sie würde nach Paris fahren – sie hatte Paris immer geliebt. Doch am folgenden Morgen war der Himmel klar und spiegelte sich wolkenlos blau im Wasser des Arno. Sie war immer ihrer Intuition gefolgt, und es erschien ihr jetzt richtig, hier zu sein, in dieser Stadt, trotz ihrer Einsamkeit und trotz den Gefahren. War das Flucht? Ja, vermutlich. Weigerte sie sich, der Realität ins Auge zu sehen, wie Freddie angedeutet hatte? Nein, das glaubte sie nicht. Die Geschichte war hier hautnah, Liebe und Schmerz, Eifersucht und Reue von Jahrhunderten waren in jeden Stein eingeschrieben, spukten in den Schatten jeder Gasse. Schreckliche Dinge waren hier geschehen; diese Stadt würde sie nicht verurteilen. Sie wusste, dass sie wartete, darauf wartete, ein Ziel für ihr Leben zu finden.  
    Der Frühling kam, und in der Luft lag eine Wärme, die ihr neuen Mut verlieh. Im Grunde hatte sie immer gewusst, dass Hitler sich nicht mit Polen zufriedengeben würde. Im April marschierten seine Truppen zuerst in Dänemark, dann in Norwegen ein.  
    Tessa sparte und kaufte sich auf dem Flohmarkt ein altes Radio. Der Mann im Antiquariat, ein Amateurfunker, bastelte daran herum, bis eine blecherne Stimme aus dem Lautsprecher zu hören war. In der

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