Der italienische Geliebte (German Edition)
schöner Gedanke«, sagte Connor. »Ein Engel, der über das Moor fliegt.«
»Ja, nicht wahr? Ich denke oft an ihn. Wenn mir irgendetwas schwerfällt, versuche ich, mir vorzustellen, was er mir raten würde. Ich weiß, es ist albern, aber ich tu’s trotzdem.« Sie holte zwei Becher heraus und goss den Kaffee ein. »Ich weiß jetzt«, sagte sie, »dass ich mit dem leben muss, was ich getan habe. Und wenn ich in ein Tief falle, denke ich an ihn. Ich denke an meinen Engel.«
Zwei Tage später reiste Connor ab. Sein unvollendetes Werk wurde in Sackleinwand eingehüllt, um nach Irland verschifft zu werden, wenn das durchführbar sein sollte.
Bevor er aufbrach, klopfte er bei Rebecca, um sich zu verabschieden und ihr alles Gute zu wünschen. »Ich hätte dich gern besser kennengelernt«, sagte er zum Schluss. »Würdest du mir schreiben, Rebecca?«
»Mit der größten Freude«, sagte sie.
Dann gab er ihr einen Kuss auf die Wange und ging.
Er fehlte ihr. Es überraschte sie, wie sehr. Der Hof schien leer ohne ihn. Er war ein stiller Mensch, dachte sie, aber er schien ihr ein tiefes Schweigen zurückgelassen zu haben.
Am ersten September marschierten deutsche Truppen in Polen ein. Am selben Tag zerstörte die Luftwaffe einen großen Teil der polnischen Flugzeuge am Boden. Straßen, Eisenbahnen und Städte wurden bombardiert. England und Frankreich, die sich vertraglich verpflichtet hatten, Polen im Fall eines Angriffs beizustehen, erklärten Deutschland zwei Tage später den Krieg.
Rebecca saß in der Küche des Mayfield-Hofs am Radio, als Neville Chamberlain verkündete, dass England sich nun mit Deutschland im Krieg befand. Als der Premierminister geendet hatte, schaltete David Mickleborough das Radio aus. Olwen Wainwright weinte, und ihr Bruder, der im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte, sagte »Eine elende Schande«, stand auf und ging hinaus. Draußen in der Sonne rannten die beiden Jungen der Mickleboroughs mit ausgebreiteten Armen umher und brummten wie Flugzeuge.
Rebecca ging in ihr Zimmer und schrieb Meriel einen Brief. Dann lieh sie sich ein Fahrrad und radelte nach Tunbridge Wells. Vor der Telefonzelle standen die Leute Schlange. Während sie wartete, überlegte sie, was sie gleich sagen würde. Was fürchtete sie mehr, fragte sie sich – dies oder den Krieg?
Dann war sie an der Reihe und trat in die Zelle, um endlich das zu tun, was sie anderthalb Jahre vor sich hergeschoben hatte: Sie rief ihre Mutter an.
Teil 3
Verlorene Träume
1940 – 1944
10
Sie war immer vorsichtig . Sie war jetzt Tessa Bruno, hübsch, anonym, eine Witwe aus irgendeinem gottverlassenen Dorf in irgendeinem kaum bekannten Gebirgstal. Ihre Papiere waren gefälscht (Freddie war entsetzt gewesen), aber sie taten ihren Dienst.
Freddie hatte sie überreden wollen, nach Hause zu kommen. Nach Hause – eine Woche, einen Tag, eine Stunde, nachdem sie Ende Oktober 1938 die Grenze nach Italien überquert hatte, hatte Tessa gewusst, dass sie wieder zu Hause war . Ein Teil der Last schien ihr von den Schultern zu fallen; die Luft, die sie atmete, war vertraut und tröstlich.
Zuerst war sie bei einem Freund untergeschlüpft, einem Modeschöpfer, der am Comer See lebte. Sie hatte früher oft mit Fabio zusammengearbeitet; er und sein Liebhaber Jean-Claude nahmen sie mit offenen Armen auf. Das Haus war elegant, der Garten, direkt am See, wunderschön. Sie ging ein bisschen spazieren, las ein bisschen und schlief viel. Aber nach einer Weile merkte sie, dass Fabio Bescheid wusste – kein Wunder, er liebte Klatsch und davon gab es in der Welt der haute couture jede Menge.
Also zog sie weiter, zunächst nach Venedig, wo sie eine kurze Affäre mit einem distinguierten älteren Mann, einem Witwer, hatte. Aber Venedig tat ihr nicht gut, sie fühlte sich von einem verzehrenden Schmerz gequält, vielleicht wegen der Melancholie des dunklen Wassers und der wie auf Winternebeln schwebenden Inseln. Unschlüssig und niedergeschlagen verließ sie die Stadt wieder.
Die folgenden Monate waren chaotisch, ein Kaleidoskop von Begegnungen und Trennungen, kurzen Liebschaften und endlosem Herumreisen. Damals glaubte sie, sie wolle sich damit ablenken. Später fragte sie sich, ob sie sich damit hatte strafen wollen.
Einer ihrer flüchtigen Liebhaber, ein zwielichtiger und unberechenbarer Mensch, der sich am Rand der Legalität bewegte, hatte ihr die gefälschten Papiere beschafft. Irgendwo
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