Der italienische Geliebte (German Edition)
hier bist?«
Sie seufzte. »Komm rein, Guido. Der Tag war lang, und ich bin müde und würde mich gern setzen.«
»Dein Mann –«
»Ich bin nicht verheiratet.«
Sie öffnete die Tür, und er folgte ihr ins Haus. In ihrer Wohnung bot sie ihm ein Glas Wein an.
»Nein, danke. Maddalenas Eltern kommen zum Essen zu uns. Und ich möchte gern Luciella noch sehen, bevor die Kinderfrau sie zu Bett bringt.« Er setzte sich nicht, sondern ging zum Fenster und schaute hinaus. »Du bist also nicht verheiratet? Bist du Witwe?«
»Nein.«
Er runzelte die Stirn. »Geschieden dann?«
»Nein, auch nicht. Ich habe nie geheiratet.« Tessa erzählte ihm von Signora Bruno und dem gottverlassenen Dorf in einem kaum bekannten Gebirgstal. »Ich hielt es für das Beste«, schloss sie. »Mit einem englischen Nachnamen wäre es hier in Florenz im Moment schwierig. Keine Sorge, Guido, ich habe Papiere auf den Namen Bruno.«
Er kniff die Augen zusammen. »Gefälschte Papiere?«
»Ja.«
»Tessa, was tust du da?«
»Ich brauchte einen italienischen Namen, um Arbeit zu bekommen. Und eine Wohnung – um überhaupt irgendetwas tun zu können. Ohne diese Papiere hätte ich wahrscheinlich keine Chance gehabt.«
»Du hast vor, hierzubleiben?«
»Aber ja. Ich bin sehr vorsichtig. Ich halte mich möglichst im Hintergrund und bemühe mich, nicht aufzufallen.«
»Nicht aufzufallen? Ausgerechnet du?« Es klang verärgert. »Mach dich nicht lächerlich, Tessa.«
»Ich habe mich verändert, Guido.« Ihr Ton wurde kalt. »Ich bin nicht mehr die, die ich früher einmal war. Vielleicht hätte ich dir nichts sagen sollen. Vielleicht hätte ich dich anlügen sollen wie alle anderen.«
»Aber begreifst du denn nicht, dass du dich in ernste Gefahr bringst? Gefälschte Papiere in diesen Zeiten? Lieber Gott, Tessa, das ist Wahnsinn.«
»Aber ich habe mich so entschieden. Und es geht dich wirklich nichts an.« Sie sah ihn kühl an. »Unsere Freundschaft ist schließlich seit Langem beendet.«
Er sah wütend aus. Er nahm seinen Hut. »Das stimmt. Entschuldige, dass ich dich belästigt habe.«
Sie ging zur Tür und öffnete sie. »Auf Wiedersehen, Guido.« Sie hörte seine Schritte, als er die Treppe hinunterrannte.
Sobald er gegangen war, legte sich ihr Zorn. Sie presste die Lippen aufeinander und kämpfte gegen die plötzliche Niedergeschlagenheit. Im Schlafzimmer zog sie eine Schublade auf und strich mit der Hand über die Dinge, die darin aufbewahrt waren. Sie hatte Fotografien, ein paar Schühchen und einen kleinen Stoffhasen. Das waren ihre Andenken an ihren Sohn. Es gab noch andere Dinge, die Angelo gehört hatten, aber die hob Ray für sie auf, bis sie es ertragen konnte, sie wieder anzusehen.
Es quälte sie, dass sie sich an die letzten Tage mit ihrem Sohn nicht erinnern konnte. Es quälte sie, dass sie nicht mehr wusste, wann sie ihn zum letzten Mal im Arm gehalten hatte. Ein so bedeutender Teil eines so kleinen Lebens, und dennoch waren diese Erinnerungen ausgelöscht, in undurchdringlicher Nacht versunken. Die Ärzte im Krankenhaus hatten ihr erklärt, dass Gedächtnisverlust bei Patienten mit Kopfverletzungen häufig vorkam. Die Erinnerung an die Tage vor dem Unfall könne wiederkehren oder auch nicht. Auch die Tage und Wochen nach dem Unfall, als sie zuerst bewusstlos gewesen war, dann betäubt von starken Schmerzmitteln, waren verloren. Einer der Ärzte hatte versucht, ihre Amnesie mit einem Bild zu erklären. Es sei wie an einem Strand, hatte er gesagt – ganz hinten der feine, trockene, glatte Sand, wo die Erinnerungen an die fernere Vergangenheit klar und deutlich waren, dann die Kräuselwellen im Sand am Rand des Wassers, ein Übergang, und dann der Unfall und die Tage unmittelbar davor und danach, von den Wellen fortgespült.
Einige Lücken hatte sie in Gesprächen mit Freunden gefüllt. Weil Angelo erkältet gewesen war, hatte sie in jener Woche nicht gearbeitet. Sie war zu einem Fest eingeladen gewesen, war aber nicht hingegangen, weil es Angelo nicht gut ging und sie selbst sehr müde war. Max hatte sie am Abend vor dem Unfall angerufen. Er hatte den Eindruck gehabt, sie sei ein wenig niedergedrückt – vielleicht weil sie zu viel allein war. Sie hatte immer gern Menschen um sich.
Der Unfall hatte sich auf der Straße nach Oxford ereignet. Tessa vermutete, dass sie nach Oxford gefahren war, um mit Milo zu sprechen. Sie konnte sich nicht vorstellen,
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