Der italienische Geliebte (German Edition)
dass sie zu Freddie gewollt hatte; sie hatte Freddie noch nie an einem Montagnachmittag besucht. Außerdem hatte Freddie ihr später gesagt, dass sie sie nicht erwartet hatte. Freddie hatte sogar bei ihrer Tutorin, Miss Fainlight, nachgefragt, und die hatte bestätigt, dass sie – Tessa – in den Tagen vor dem Unfall nicht angerufen hatte. Es war allerdings immer möglich, dass sie ganz spontan beschlossen hatte, nach Westdown zu fahren.
Dann also Milo. Mit ihm hatte sie nicht gesprochen. Sie hätte ihn fragen können, ob sie verabredet gewesen waren, aber sie hatte es nicht getan. Viele Wochen waren vergangen, bevor sie sich so weit erholt hatte, dass sie daran denken konnte, Milo anzurufen oder zu schreiben. Er hatte in dieser ganzen Zeit nichts von sich hören lassen. Sie hatte nicht versucht, ihn zu erreichen, weil sein Schweigen ihr deutlicher als alle Worte gesagt hatte, dass er sie nicht mehr liebte. Ihre tiefe Enttäuschung über diese Lieblosigkeit zusammen mit der Verzweiflung über den anderen, weit größeren Verlust hatte sie in einen Abgrund gestürzt. Mit der Zeit war die Enttäuschung Zorn gewichen. Und dann sehr bald Resignation und Trauer, als sie begriffen hatte, dass sie, soweit das überhaupt möglich war, die Vergangenheit hinter sich lassen und versuchen musste, aus dem, was ihr von ihrem Leben geblieben war, doch noch etwas zu machen.
Drei Jahre waren mittlerweile vergangen, und doch war ihr manchmal, als hörte sie sich selbst, wie sie zu Milo Rycroft sagte, die Liebe dauert eben, so lange sie dauert. Das ist meine Meinung . So naiv, so destruktiv. Sie dachte nur noch selten an ihn. Geblieben waren nur misstrauische Vorsicht und die Erkenntnis, welch ungeheure Fehler sie gemacht hatte.
Ich habe mich verändert, Guido. Ich bin nicht mehr die, die ich früher einmal war. Sie hatte ihm die Wahrheit gesagt: Sie war nicht mehr die Frau, für die sie sich einmal gehalten hatte. Tessa Bruno taugte so gut wie jeder andere Name. Tessa Nicolson gab es nicht mehr.
Als sie am nächsten Abend von der Arbeit nach Hause kam, stand er wieder vor dem Haus. Dunkler Anzug, wundervoll geschnitten, seidene Krawatte, blankpolierte Maßschuhe. Er wirkte fehl am Platz in dieser Gasse mit den Wäscheleinen und den beschmierten Hausmauern.
Er schien die Schultern zu straffen, als sie sich näherte. »Ich möchte mich entschuldigen für das, was ich gestern Abend zu dir gesagt habe«, erklärte er förmlich. »Ich war nur besorgt.«
Guido war immer stolz gewesen. Tessa konnte sich vorstellen, was diese Entschuldigung ihn gekostet hatte. »Ich war vielleicht auch unüberlegt«, räumte sie ein.
Er wirkte beunruhigt, als er leise auf sie einzureden begann. »Hier hat sich vieles verändert, Tessa. Florenz hat sich verändert. Wenn herauskäme, dass du mit gefälschten Papieren hier lebst, würde die Polizei dich für eine Spionin halten.«
»Ich werde vorsichtig sein, Guido.«
Er blickte zu dem schmalen Streifen Himmel zwischen den hohen Mauern hinauf. »Es ist ein schöner Abend«, sagte er. »Wollen wir ein Stück laufen?«
Sie gingen die Via Romana hinauf. »Es war mir ernst mit dem, was ich gesagt habe, Tessa«, fuhr Guido fort. »Du bist hier nicht sicher. Vielleicht sind wir schon in ein paar Wochen im Krieg.«
Sie warf ihm einen raschen Blick zu. »Glaubst du?«
»Ich hoffe, es wird nicht dazu kommen – ich bete darum«, erwiderte er. »Aber es gibt Leute, die den Krieg förmlich herbeisehnen, die darauf drängen. Sie wittern billigen Ruhm.«
»Und du, Guido? Was meinst du?«
»Bisher haben wir uns aus dem Krieg herausgehalten und davon profitiert. Ich hatte eigentlich gehofft, dass wir dank dem Zynismus und der Korruptheit der Regierung so weitermachen könnten. Aufseiten Deutschlands in den Krieg einzutreten wäre absolute Dummheit. Es wäre Wahnsinn. Es würde uns vernichten.«
Ein Bande kleiner Jungen rannte an ihnen vorbei einem Dreikäsehoch in einem Tretauto hinterher. Ein Hund schnüffelte im welken Laub der Gosse.
»Du hast gestern gesagt, unsere Freundschaft sei beendet, Tessa«, bemerkte Guido. »Aber wenn es so ist, dann war das deine Entscheidung.«
»Nein, das ist nicht wahr.« Sie erinnerte sich an die ersten unglücklichen Wochen in England – die Schule, der Regen, die Trennung von fast allem, was ihr etwas bedeutete. »Ich habe dir geschrieben«, sagte sie. »Aber du hast nie geantwortet.«
»Ich habe nicht einen
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