Der italienische Geliebte (German Edition)
Sie am Wegrand aufgelesen haben, und dass das nie etwas für längere Zeit wäre. Wozu sie offenbar auch mich zählt.«
Er lachte. »Sie sollten Marcelle nicht alles glauben.«
»Ich kam mir vor wie in einer Prüfung.«
»Die Sie bestimmt bestanden haben. Marcelle kann manchmal ein bisschen scharf sein. Sie sorgt sich um ihren Vater.«
»Ja, sie sagte mir, dass es ihm nicht gut geht.«
»Er ist nach dem letzten Krieg nie wieder richtig auf die Beine gekommen. Ihre Mutter ist tot, und Marcelle hat keine Geschwister, da bleibt natürlich alles an ihr hängen.«
»Gut, ich verzeihe ihr. Ich hätte ihr sowieso verziehen. Sie hat mich zum Lachen gebracht.«
Während sie tanzten, ließ Freddie ihren Blick durch den Saal schweifen. In der Nähe der Tanzfläche entdeckte sie Max und winkte ihm zu.
Mit einem Crescendo von Saxofon und Schlagzeug ging die Nummer zu Ende. Der Solist verbeugte sich zum Dank für den Applaus. Als die Musik mit einem langsamen, schnulzigen Stück wieder einsetzte, nahm Jack sie in den Arm.
»Sie sind also doch nicht nach Südamerika gegangen, um den Krieg auszusitzen«, sagte sie.
Er blickte zu ihr hinunter. »Ohne Sie hätte es keinen Spaß gemacht.«
»Wobei zu Ihrer Vorstellung von Spaß vermutlich eisige Kälte, strömender Regen und ständige Angst gehören.«
»Seien Sie ehrlich«, neckte er. »Es hat Ihnen gefallen.«
»Zu einem kleinen Teil vielleicht.« Sie zeigte es mit Daumen und Zeigefinger an. »Zu einem sehr kleinen Teil.«
»Was tun Sie zurzeit?«
»Ich bin Schreibkraft beim Verteidigungsministerium. Und Sie?«
»Ich sitze die meiste Zeit in einem Militärlager in Yorkshire fest.«
»Das passt Ihnen doch bestimmt nicht, Jack. Wieso lassen Sie sich nicht irgendwohin versetzen, wo es richtig scheußlich und gefährlich ist? Da wären Sie bestimmt glücklich.«
Er spielte den Gekränkten. »Sie haben wirklich einen miserablen Eindruck von mir.«
»Ich habe eine Vorliebe für schicke Restaurants und komfortable Hotels. Für Übernachtungen im Auto und Käsebrotdiäten habe ich nichts übrig.«
»Das nehme ich Ihnen nicht ab. Ich glaube, dass sich hinter der züchtigen Fassade ein rebellischer Geist verbirgt.«
» Züchtig ?«, fragte sie empört.
»Wohlerzogen… sittsam…«
»Also hören Sie, Sie stellen mich hier als altjüngferliche Tante hin.«
»Sie sind viel hübscher als meine altjüngferlichen Tanten.«
»Jack!«
Er lachte.
Es war voll auf der Tanzfläche. Immer wieder rief jemand »Hallo, Jack, nett, dich zu sehen«, oder klopfte ihm im Vorbeitanzen auf die Schulter. Jack winkte oder grüßte, und Freddie bekam mit der Zeit das gleiche Gefühl wie einst mit Tessa im Ritz oder Savoy, dass sie zur interessantesten und beneidenswertesten Clique im Saal gehörte. Sie bemerkte, dass Leutnant Coryton jetzt mit Clare Stuart tanzte und Marcelle Scott sich mit Julian und Max unterhielt. Angus, nun nicht mehr im Gespräch mit dem Armeeoffizier, stand allein etwas abseits und wippte mit dem Fuß, wie er das oft tat, wenn er sich langweilte.
»Ist Angus Corstophine Ihr Freund?«, fragte Jack.
»Ja. Kennen Sie sich?«
»Oberflächlich. Wir haben über Spanien geredet«, sagte Jack.
»Ach, Sie mussten damals nach Spanien?«
»Ja.«
»Und was haben Sie da gemacht?«
»Dies und das.«
Spioniert, dachte sie. Der britische Marinehafen von Gibraltar lag am Eingang zum Mittelmeer am äußersten Südzipfel Spaniens. Nach Jahren eines zerstörerischen Bürgerkriegs hatte Spanien sich bisher neutral verhalten, und es lag sehr im britischen Interesse, dass es weiterhin so blieb.
»Wie war es?«, fragte sie.
»Trostlos.« Einen Moment verdüsterte sich sein Blick. »Der Lebensgeist ist zerstört.«
»Wie lange waren Sie dort?«
»Sechs Monate. Ich war ehrlich gesagt froh, als ich wieder in England war. Und jetzt, wo ich Sie wiedergefunden habe, bin ich doppelt froh.«
»Ach, hören Sie auf, Sie haben bestimmt kein einziges Mal an mich gedacht.«
»Stimmt nicht.«
Der Blick, mit dem er sie ansah, kam völlig unerwartet. Schnell und scherzhaft sagte sie: »Miss Scott hat mich schon vor Ihnen gewarnt. Vor Ihrer Unzuverlässigkeit.«
»So eine Frechheit«, sagte Jack, ohne dabei verlegen zu wirken. »Sie hat Sie mir praktisch als unnützen Aristokraten geschildert.«
»Ach ja?« Andere Paare rempelten sie an. Er hielt sie fester.
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