Der italienische Geliebte (German Edition)
Kleid an?«
»Leider nur Rock und Bluse.«
»Es war eine Rundfunkaufnahme, Freddie«, sagte Julian. »Für den Rundfunk braucht man sich nicht in Schale zu werfen.«
Freddie lächelte. »Ich stelle mir Myra Hess immer im Abendkleid vor. Sogar beim Abwasch.«
Der Kellner brachte Kaffee und petits fours . »Hat jemand von Max gehört?«, fragte Julian.
»Er hat gesagt, er käme vielleicht später«, antwortete Freddie.
Nach dem Überfall auf Belgien, die Niederlande und Frankreich im Sommer 1940 waren alle in Großbritannien lebenden feindlichen Ausländer als potenziell bedrohlich für den Staat verhaftet und interniert worden, unter ihnen auch Max. Als die Gefahr einer Invasion geschwunden war, hatte die Angst sich gelegt und die Internierten waren nach und nach wieder freigelassen worden. Seit er aus dem Internierungslager auf der Insel Man zurück war, arbeitete Max für das Ministry of Information .
Wieder eine Lachsalve am Ecktisch. Freddie stand auf und gab Angus einen Kuss auf die Wange. »Ich bin gleich wieder da, Darling. Ich gehe nur hinüber und begrüße Jack.«
Sie trat an den Ecktisch. »Guten Abend, Jack«, sagte sie.
Er drehte sich um. »Allmächtiger! Freddie Nicolson.« Lachend sprang er auf. »Ich kann’s nicht glauben. Wunderbar, Sie wiederzusehen.«
»Was macht das Bein?«
»Dank Ihrer Fürsorge wieder völlig in Ordnung. Und wie geht es Ihnen? Sie sehen großartig aus.«
»Ich fühle mich auch etwas ansehnlicher als bei unserer letzten Begegnung.«
Jack sagte zu seinen Freunden: »Das ist Miss Nicolson«, dann spulte er, halb zu Freddie gewandt, eine ganze Liste von Namen herunter. »Sind Sie zum Essen hier, Freddie?«
»Wir sind fast fertig. Ich glaube, wir gehen nachher noch tanzen. Ich muss weg – vielleicht sehen wir uns später, Jack.«
Sie kehrte an ihren Tisch zurück. Angus hatte ihr das hübscheste petit four aufgehoben, eines, das aussah wie ein kleines Schokoladeneclair.
Freddie arbeitete jetzt als Schreibkraft im Verteidigungsministerium. Im Oktober hatte sie den Auftrag erhalten, einen Berg Akten in ein Zimmer im zweiten Stock hinaufzubringen. Sie hatte geklopft und war aufgefordert worden einzutreten. Der Mann am Schreibtisch hatte kurz aufgeblickt und sich bedankt, als sie ihm die Akten gab. Dann hatte er sie nach ihrem Namen gefragt. »Nicolson«, sagte sie. »Frederica Nicolson.« »Ich bin Angus Corstophine«, sagte er. »Würden Sie mir den Gefallen tun und heute Abend mit mir zusammen ein Glas trinken, Miss Nicolson? Bitte, haben Sie Erbarmen mit mir, ich bin hier in der Fremde. Ich verspreche, dass ich mich tadellos benehmen werde. Aber Sie haben einfach umwerfend schöne Augen.«
Sie traf ihn nach der Arbeit im Claridges, wo er wohnte. Nach zwei Martinis – Angus trank Whisky – nahm er ihr das Versprechen ab, in der folgenden Woche mit ihm essen zu gehen, dann setzte er sie in ein Taxi. Mit vollem Namen hieß er Angus James Macready Corstophine. Major Angus James Macready Corstophine. Sein Zuhause war ein Schloss in Schottland, zwischen Perth und Braemar, in dem die Corstophines seit Generationen lebten. Angus war zwölf Jahre älter als Freddie, groß, rothaarig, mit blauen Augen. Als Zeitsoldat war er mit dem britischen Expeditionskorps in Frankreich gewesen und mit einem der letzten Schiffe aus Dünkirchen entkommen. Er hatte ab und zu im Verteidigungsministerium zu tun, hielt sich aber die meiste Zeit in einem Ausbildungslager in Schottland auf. Er war interessant, aufmerksam und ein guter Gesprächspartner. Er tanzte nur ungern, bezwang aber ihr zuliebe seinen Widerwillen, obwohl er eine lange Wanderung oder einen Nachmittag beim Angeln vorgezogen hätte, und schickte ihr am Morgen nach einem gemeinsamen Abendessen immer Blumen. Die Rosen und Orchideen mussten aus einem Treibhaus stammen. Wo sonst hätte man im bitterkalten, vom Krieg gebeutelten London des Winters 1940 so schöne Blumen herbekommen können?
Ray und Susan gingen nach dem Essen, weil Susan bei der BBC Spätschicht hatte. Freddie warf ab zu einen Blick zu Jack und seiner Clique hinüber. Sie fragte sich, ob eine der schönen Frauen, die an seinem Tisch saßen, vielleicht sagen würde, Aber doch nicht hier, Jack, gehen wir lieber woanders hin , und sie ihn dann aus den Augen verlöre, wie man im Krieg ständig Menschen aus den Augen verlor, und dieses kurze Zusammentreffen unter demselben Stichwort ablegen würde wie das von
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