Der italienische Geliebte (German Edition)
Die Haare fielen ihr in weichen Locken auf die Schultern, und die Fingernägel waren in dem klaren Rot lackiert, das sie bevorzugte. Freddie fragte sich, wo sie jetzt im Krieg solchen Nagellack auftrieb – aber vielleicht hatte sie ihn gehortet und bewahrte in ihrem Schrank Dutzende leuchtend roter Fläschchen auf, die ihr reichen würden, bis wieder Frieden herrschte.
»Wenn er dir nichts bedeutet«, sagte sie, »wäre es dann nicht besser, es ihm klipp und klar zu sagen?«
Marcelle drehte sich nach Freddie um. »Ich habe Max sehr gern.« Sie war ein wenig rot geworden.
»Ich glaube nicht, dass gern haben genug ist. Er liebt dich, Marcelle. Verstehst du nicht, so kann das nicht gut gehen. Das ist für den anderen schrecklich verletzend.«
Die Küchentür wurde geöffnet. Lewis Coryton stand in einem rotseidenen Morgenmantel, der vermutlich Marcelle gehörte, blinzelnd im Flur.
»Ich brauche unbedingt eine Tasse Tee«, sagte er.
»Ich mache dir gleich welchen, Darling.« Marcelle ließ Wasser in den Kessel laufen.
Lewis sah Freddie stirnrunzelnd an. »Ah, jetzt fällt’s mir ein, Freddie – äh – Freddie Nicolson.«
»Hallo, Lewis.« Sie bot ihm die Hand.
»Sie waren damals im Dorchester«, sagte er. »Sie hatten ein lange schwarzes Kleid an und dazu eine Kette mit dunkelroten Steinen – pflaumenrot.«
»Wirklich, ein Gedächtnis wie ein Elefant, Lewis«, bemerkte Marcelle schnippisch.
Es freute Freddie, dass Lewis sich an sie erinnerte. Sie hatte ihn damals sehr gut aussehend gefunden. Er sah immer noch gut aus, selbst mit seinem zerzausten Haar und dem albernen roten Morgenmantel.
Betty kam wieder in die Küche gelaufen. »Meine Ohrringe? Hat jemand meine Ohrringe gesehen?«
»Auf dem Fensterbrett«, sagte Marcelle.
Betty steckte sich die Brillanten in die Ohrläppchen. »Kommst du mit, Freddie? Denny kommt auch. Und Clare, stimmt doch, Lewis? Was ist eigentlich mit den RAF -Jungs, die wir im Zug getroffen haben?«
»Sie haben gesagt, dass sie kommen.«
»Und Jack?«, fragte Betty.
»Glaube ich nicht.«
»Strümpfe«, murmelte Betty. »Irgendwo muss doch ein heiles Paar Strümpfe sein.« Sie rannte wieder nach oben.
Marcelle goss eine Tasse Tee ein und reichte sie Lewis. Der sagte: »Ich sollte jetzt erst einmal baden. War nett, Sie wiederzusehen, Freddie. Sie sind doch heute Abend auch mit von der Partie?«
Sie antwortet etwas Unverbindliches, und als Lewis verschwunden war, fragte sie Marcelle: »Du hast Jack gesehen?«
»Meinen Cousin, meinst du? Ja, natürlich.« Marcelle, die den Tee einschenkte, runzelte die Stirn. »Ach so, du kennst ihn ja flüchtig. Das hatte ich vergessen.«
»Er ist in London?«
»Ja, seit Wochen. Wir haben uns königlich amüsiert. Ich bin ganz erledigt vom vielen Feiern.« Marcelles Stimme klirrte vor Kälte. »Ich hoffe, er verliebt sich in Frances. Er so blond und sie so rot, das würde doch bei den Kindern eine wunderbare Mischung geben, meinst du nicht?« Sie nahm Lippenstift und Puderdose aus ihrer Handtasche. »Möchtest du heute Abend auch mitkommen, Freddie? Ich finde bei mir bestimmt irgendetwas, was dir passt.«
»Nein, danke, ich bin ziemlich müde. Ich glaube, ich gehe heute mal früh zu Bett.«
Kurz danach ging Freddie. Es regnete immer noch, sie klappte ihre Kapuze hoch und schob die Hände in die Taschen. Zum ersten Mal konnte sie es kaum erwarten, aus London wegzukommen. Seit dem Abend im Dorchester hatte sie sich am Rand von Jacks und Marcelles Clique bewegt, aber nie wirklich dazugehört. Als sie jetzt durch den Regen marschierte, packte sie ein heftiger Widerwille gegen Marcelle. Obwohl ihr Verstand ihr sagte, dass Max an seinem Unglück zum Teil selbst schuld war, verachtete sie Marcelle für ihre Achtlosigkeit ihm gegenüber. Marcelle hatte etwas Distanziertes, das es ihr vielleicht leicht machte, andere zu verletzen. Und zeigte nicht Jack, der Marcelles Cousin war, einen ähnlichen Wesenszug? Damals, im Frühsommer 1939, war sie ihm nützlich gewesen; aber sobald er sie nicht mehr brauchte, hatte er sie fallen lassen. Vielleicht sollte sie sich nicht gekränkt fühlen, dass er sich, obwohl er in London war, nicht wie versprochen bei ihr gemeldet hatte; aber sie war gekränkt. Sie hatte ihre gemeinsame Flucht von Florenz nach Frankreich immer noch in lebhafter Erinnerung, aber er hatte das alles wahrscheinlich schon in dem Moment vergessen, als ihre Wege
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