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Der italienische Geliebte (German Edition)

Der italienische Geliebte (German Edition)

Titel: Der italienische Geliebte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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abgeplattete Trümmerfelder, manchmal mit Kratern, die mit Haufen von Schutt, Backsteinbrocken, gesplittertem Holz und zersprungenen Steinen gefüllt waren. Hohes grünes Unkraut stand zwischen den Trümmern. Kinder spielten auf den Ruinengrundstücken, die schmutzigen Kleider entweder zu klein oder viel zu groß, die Strickjacken der Mädchen voller Löcher, die Hosenböden der Jungen fast durchgescheuert oder mit Flicken besetzt. Schreiend und kreischend, einander stoßend und puffend rannten sie in den zerstörten Häusern herum. Ein Junge von acht oder neun pinkelte in eine Pfütze, das magere Rattengesicht halb konzentriert, halb triumphierend.  
    Rebecca merkte plötzlich, dass sie sich nicht mehr auskannte. Ganze Straßen schienen verschwunden zu sein, Gebäude, die früher als Orientierungspunkte gedient hatten, waren nicht wiederzuerkennen. Die Kinder schienen ihre Verwirrung zu bemerken; ein Junge blieb auf einem Schutthaufen stehen, und ein Mädchen, das einen Kinderwagen ohne Chassis herumschob, starrte sie an. Eine Pfütze spritzte auf, als Rebecca vorüberging; eines der Kinder hatte einen Stein nach ihr geworfen. Der Junge bückte sich und hob ein Stück Backstein auf. Rebecca bemerkte ein Aufblitzen von Erregung in den Augen des Mädchens. Es raffte seinen Rock und lief mit übertriebenem Hüftwackeln und gespitztem Mund neben Rebecca her. Die anderen Kinder johlten und lachten. Der Backstein traf Rebeccas Rücken, und sie schrie den Jungen an, er solle das ja nicht noch einmal tun, und sie grölten und lachten und rannten davon wie eine Schar wild gewordener Sperlinge.  
    Endlich fand sie sich wieder zurecht; sie war nur ein paar Minuten vom Pflegeheim entfernt. Sie wischte den Schmutz vom Rücken ihres Regenmantels und ging eilig weiter zum Heim. Klein und geschrumpft von der Krankheit lag ihre Mutter in ihrem besten Nachthemd, das Haar ordentlich gebürstet, auf hohe Kissen gebettet. Rebecca wollte bei diesem Besuch vor allem erfahren, ob ihre Mutter nach Hause kommen oder lieber im Pflegeheim bleiben wollte. Aber das Gespräch verlief nicht nach Plan. Mrs. Fainlight war ungewöhnlich gesprächig, geradezu in Hochstimmung. Ob Rebecca die Zeitung gelesen habe – der Krieg werde jetzt bestimmt bald vorbei sein. Einen Absatz müsse sie unbedingt lesen. Rebecca musste die Zeitung durchforsten, um den Artikel zu finden, und las den Absatz dann laut vor. Na, was sagst du?, fragte ihre Mutter erwartungsvoll, und Rebecca sagte ja, das klingt doch sehr verheißungsvoll, Mama. Danach erzählte ihre Mutter ihr eine lange Geschichte von einer der Krankenschwestern, die aus Shrewsbury stammte, wo sie selbst als kleines Mädchen gelebt hatte. Die Geschichte war noch nicht zu Ende, als Mrs. Fainlight die Augen schloss und von einer Sekunde auf die andere einschlief. Einige Minuten später schaute eine Schwester zur Tür herein und sagte: »Na, Sie haben sie richtig müde gemacht, hm?«, und da es inzwischen fast vier Uhr war, küsste Rebecca ihre Mutter und ging.  
    Sie überlegte, ob sie versuchen sollte, noch einmal mit einem der Ärzte zu sprechen, gab den Gedanken aber gleich wieder auf, da sie wusste, dass es sie nicht weiterbringen würde. Jetzt mussten sie und Meriel entscheiden. Sie würde gleich am Montag anfangen, die Pflegedienste anzurufen. Wenn ihre Mutter nach Hause wollte, dann sollte ihr das auch ermöglicht werden. Sie würde sich in der Schulzeit um ihre Mutter kümmern; vielleicht konnte Meriel die Betreuung während der Ferien übernehmen.  
    Sie war froh, aus dem Pflegeheim hinauszukommen, wo es so durchdringend nach Bohnerwachs und Desinfektionsmittel roch. Sie wollte nicht gleich wieder in die stickige, volle U-Bahn steigen und beschloss ein Stück zu Fuß zu gehen. Die alten Schuldgefühle meldeten sich wieder, jetzt allerdings mit Kummer vermischt. Ihre Beziehung zu ihrer Mutter war immer von dem innigen Wunsch, ihr zu gefallen und der Gewissheit, dass sie das nie erreichen würde, bestimmt gewesen.  
    Sie ging ein kurzes Stück die Kensington Road hinunter, dann bog sie in die Gloucester Road ab. Hier schien das Leben ganz normal, ohne die Bedrohlichkeit, die ihren Spaziergang von vorhin durch die Trümmerlandschaft begleitet hatte. Die Sonne schien, der Himmel war blau, und in den Gärten blühten die Rosen. Menschen gingen in den Geschäften aus und ein, und vor einer Metzgerei standen die Leute Schlange. Eine platinblonde Frau beugte sich aus einem Fenster im dritten Stock und

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