Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der italienische Geliebte (German Edition)

Der italienische Geliebte (German Edition)

Titel: Der italienische Geliebte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
danke, es ist alles in bester Ordnung.« Aber als sie am Embankment ausstieg, wusste sie einen Moment lang nicht mehr, in welche Richtung sie gehen musste, und blieb auf dem Bürgersteig stehen, um sich umzusehen, im Kopf einen Trümmerhaufen wirrer Gedanken.  
    Am Charing-Cross-Bahnhof wartete, o Wunder, ein Zug nach Tunbridge Wells, und sie suchte sich ein Abteil aus, in dem schon eine Frau ihres Alters saß. Sie trug ein graues Kostüm und dazu einen grauen Hut mit einer Garnitur künstlicher Kirschen. Als Rebecca ihr gegenüber Platz genommen hatte, sah die Frau sie an und fragte: »Geht es Ihnen gut, Schätzchen?«, und Rebecca, die jetzt sehr müde war, sagte noch einmal, ziemlich gereizt: »Danke, ja, es ist alles in bester Ordnung.«  
    »Sie sehen ein bisschen staubig aus«, sagte die Frau.  
    Rebecca blickte an sich hinunter. Sie war mit weißem Staub bedeckt wie das Mädchen in den Trümmern. »Ach, das habe ich gar nicht gemerkt«, antwortete sie. »Da war eine Bombe. Eine fliegende Bombe.«  
    »Hier.« Die Frau bot Rebecca ein Taschentuch und einen Spiegel an.  
    Rebecca schaute in den Spiegel und fand, was sie sah, ziemlich absonderlich. Ihre Haare und ihr Gesicht waren fast ganz weiß; nur das Grün ihrer Augen stach heraus.  
    »Ach je«, sagte sie verlegen. »Ich sehe wirklich zum Fürchten aus.«  
    Sie versuchte, den Staub mit dem Taschentuch zu entfernen, schaffte es aber nicht, weil ihre Hände so heftig zitterten. Die Frau mit dem Kirschenhut nahm ihr das Taschentuch ab und reinigte ihr das Gesicht. Rebecca musste daran denken, wie ihre Mutter früher, wenn sie unterwegs Schmutz in den Gesichtern ihrer kleinen Töchter entdeckt hatte, kurzerhand ihr Taschentuch mit Spucke befeuchtet hatte, um den Schmutz zu entfernen. Die Frau im Kirschenhut schaffte es ohne Spucke.  
    Der Zug ratterte durch die grüne Landschaft von Kent. Rebecca schloss die Augen und verfiel in Halbschlaf. In ihrem Kopf jagten sich die Bilder, lebendig und in grellen Farben. Der Junge, der in die Pfütze pinkelte… ihre Mutter lebhaft und aufgekratzt mit ihrer Geschichte von der Schwester aus Shrewsbury… die Frau im Café beim Schminken. Und aus unerfindlichem Grund musste sie an eine Reise mit Milo nach London denken, auf der sie sich zwei Kostüme gekauft hatte, eines brauner Tweed, das andere rot.  
    Sie dachte an das Mädchen im blauen Kleid. Es war beinahe ein Zwang gewesen, sie zu befreien. Warum?, fragte sie sich. Hast du geglaubt, damit ließe sich eine Rechnung begleichen? Hast du geglaubt, ein gerettetes Leben wäre eine Wiedergutmachung für ein verlorenes? War ihr verzweifeltes Graben in den Trümmern vielleicht eine Art Abbitte gewesen?  
    Nein, dachte sie. Es war nichts dergleichen. Ich wollte einfach, dass sie am Leben bleibt.  
    Nach der Einnahme Roms durch die verbündeten Truppen war das deutsche Heer, verfolgt von der 5. und der 8. Armee der Alliierten, durch die Toskana nach Norden geflohen. Jetzt blieb auch die Villa di Belcanto nicht mehr verschont. Eine deutsche Infanterieeinheit beschlagnahmte das Herrenhaus und errichtete Geschützstellungen in Nebengebäuden und hinter Mauern. Der Hauptmann, ein kultivierter Mensch, bemühte sich, dafür zu sorgen, dass seine Männer die Frauen im Herrenhaus nicht belästigten.  
    Das Gebäude, in dem früher Schule gehalten worden war, diente jetzt als Munitions- und Brennstofflager.  
    Tessa und Faustina brachten Betten, Kleider und Spielsachen der Kinder in die Stallungen. Am Abend packte jede von ihnen einen kleinen Koffer. In den ihren legte Tessa zuunterst die Andenken an Angelo. Sonst nahm sie nur ein paar Kleidungsstücke mit, ein extra Paar Schuhe, ihr Adressbuch, Seife, Handtuch, Haarbürste und Haarklemmen. Was noch? Sie zog die Schublade ihres Toilettentischs auf, blickte zu den darin verwahrten Dingen hinunter und hob den Kopf, um in den Spiegel zu sehen. Ihr Haar war lang geworden in den Jahren in Italien und von der Sonne flachshell gebleicht. Sie trug es zu einem Nackenknoten aufgesteckt. Ihr Gesicht war gebräunt und sommersprossig, und das Kleid aus blauer Baumwolle, das sie selbst geschneidert hatte, war verwaschen und an den Nähten fadenscheinig. Wo sie sich die Kratzer auf den Armen geholt hatte, wusste sie nicht mehr. Beim Anblick der Fältchen in den Augenwinkeln dachte sie, achtundzwanzig Jahre alt und schon Krähenfüße. Ihre Mutter hatte immer behauptet, die italienische Sonne tue dem englischen Teint nicht gut. Kein

Weitere Kostenlose Bücher