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Der italienische Geliebte (German Edition)

Der italienische Geliebte (German Edition)

Titel: Der italienische Geliebte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Wunder, dass die Soldaten im Haus sie im Großen und Ganzen in Ruhe gelassen hatten. Tessas Hand verweilte über der Schublade. Dann nahm sie eine kleine Schere, eine Pinzette und einen mohnroten Lippenstift heraus. Nein, mehr würde sie nicht mitnehmen. Sie klappte den Koffer zu und ging nach unten.  
    Vor zwei Tagen hatte im Hof der fattoria eine Bombe eingeschlagen. Die gewaltige Druckwelle hatte die ganze Front des Hauses zum Einsturz gebracht und sämtliche Fensterscheiben in den umliegenden Häusern eingedrückt. In der Fassade des Herrenhauses, die die Explosion am stärksten zu spüren bekommen hatte, taten sich Risse auf. Die Villa di Belcanto, wie Tessa sie kennengelernt hatte, liebenswürdig und elegant, kühle Zuflucht in der Sommerhitze, Refugium in der Not, gab es nicht mehr. Drinnen waren die Böden mit Glasscherben übersät. Regen hatte die seidenen Vorhänge durchweicht – Zanetti-Seide –, ihre lebhaften Farben ausgewaschen und Wasserflecken auf dem feinen Stoff hinterlassen. Die Soldaten hatten Stühle, Decken und Geschirr zu ihren Stellungen in den Nebengebäuden und im Garten gebracht und den salotto zur Kantine umfunktioniert. Männer räkelten sich auf den Sofas oder durchstreiften das Haus auf der Suche nach etwas Essbarem oder Wein. Spielkarten lagen auf dem Teppich verstreut; in einem offenen Kamin verbrannten Papiere zu knisterndem Schwarz.  
    Draußen, unter den Bäumen, standen mit grünen Zweigen getarnte Militärtransporter. Soldaten lagen schlafend oder rauchend im Schatten, die Oberkörper nackt oder mit aufgeknöpftem Kampfanzug. Jemand hatte das Grammophon aus dem Haus geholt, und die Klänge eines Mozart-Quartetts wehten durch den heißen Sommerabend, immer wieder gestört vom Knattern fernen Gewehrfeuers.  
    Wenn der Lärm der Geschütze lauter wurde, eilten die Soldaten zu ihren Stellungen. Dann begann von Neuem das ohrenbetäubende Getöse dumpf krachender Donnerschläge, unter denen der Boden erzitterte. Nicht weit entfernt, unten im Tal, zogen Artilleriegranaten flammende Lichtbögen in den Himmel.  
    Im Stallgebäude packte Tessa noch einen Koffer, diesmal für die Kinder: für jedes Kind eine Garnitur Unterwäsche und ein Paar Socken zum Wechseln. Sie suchte Pullover und Regenmäntel zusammen, faltete Kleidung und Windeln für die Säuglinge und verstaute die Sachen im Kinderwagen. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass alle Kinder schliefen, ging sie in die Küche.  
    Faustina war dabei, Käse und Wurst in Stroh zu verpacken und die Päckchen in Körbe zu schichten. Tessa half ihr. Sie redeten über dies und das: die Hitze, eine Reise nach Marokko, die Tessa vor Jahren unternommen hatte, ein Mädchen, das sie beide von Mrs. Hamiltons Mittagessen in der Villa Millefiore in Erinnerung behalten hatten, das fürchterliche Essen bei diesen Einladungen. Nur über den Krieg sprachen sie nicht.  
    Um elf ging Tessa zu Bett. Wach auf dem schmalen Feldbett liegend, fragte sie sich, wie sie genug Milch für die Säuglinge auftreiben sollten. Und wie Olivia, der es nicht gut ging, einen längeren Fußmarsch schaffen würde. Und wie die kleineren Kinder zurechtkommen würden.  
    Aber wohin sollten sie überhaupt gehen, und wann sollten sie aufbrechen? Die Fragen quälten sie. Früher am Tag hatte sie mit dem deutschen Hauptmann gesprochen. Er hatte ihr geraten, die Kinder vom Landhaus, das so exponiert auf der Hügelhöhe stand, wegzubringen.  
    Tessa fand keine Antwort. Setzten sie nicht vielleicht das Leben der Kinder aufs Spiel, wenn sie sie aus dem Landhaus fortbrachten, wo sie wenigstens einigermaßen geschützt waren? Aber wie lange noch, bis das Haus selbst zum Kampfplatz wurde? Und wenn sie sich wirklich auf den Weg machten, wohin sollten sie dann gehen und welche Route sollten sie überhaupt nehmen, da doch die Hügel offen angreifbar waren und die Straßen vermint und unter Maschinengewehrbeschuss?  
    Sie würde es morgen entscheiden, sagte sie sich. Jetzt musste sie schlafen. Sie dachte an Guido, wo er jetzt wohl war und was er gerade tat, und bekam plötzlich heftige Sehnsucht, seine Stimme zu hören, sein Lächeln zu sehen, die Wärme seiner Arme zu fühlen. Ihre Liebe hatte nie den richtigen Zeitpunkt gefunden, dachte sie, und darum auch nie eine Zukunft gehabt. Guido hatte von seinem Bedauern darüber gesprochen, ihr nicht nach England gefolgt zu sein, aber sie selbst bedauerte es nicht. Guido gehörte nach Florenz. Woanders wäre er nicht glücklich

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