Der italienische Geliebte (German Edition)
Dann bürstete sie sich die Haare, schminkte sich, nahm die Münzen an sich und lief nach unten.
Draußen riss ein böiger Wind die Blätter von den Bäumen. Der Schlamm und die Salzmarsch am Wasserrand sahen immer durchnässt aus, gleich, ob die Sonne schien oder nicht. Meer und Land verschmolzen in kleinen Buchten, Mündungsarmen und Schilfgürteln miteinander. Bei Ebbe schrumpfte der Fluss zu einem schmalen Kanal zwischen Wattflächen. Sie liebte ihr kleines Haus, aber die Landschaft war ihr fremd geblieben. Das Meer nagte am Festland, drängte es zurück, fraß es auf, und an manchen Tagen war der Wind schneidend.
Aus sie aufblickte, sah sie, dass Ebbe war. Das Licht auf dem Meer wechselte, und die Wolken warfen Schatten auf die Marschen. Das Land schien zu schwanken, zu schwinden, als wollte es sich jeden Moment in Nichts auflösen.
An diesem Abend bemühte sie sich nicht einmal um Lewis’ Freunde. Sie reichte die Canapés herum, während Lewis Drinks einschenkte, und dachte die ganze Zeit, was für ein Schwindel das alles war, diese Vorspiegelung von Eleganz und wohlbetuchter Sorglosigkeit, während sie in den Sofaritzen nach Kleingeld suchte. Die Ehefrauen klagten über Probleme mit dem Personal, und Freddie knallte die schmutzigen Teller ins Spülbecken in der Küche und starrte zum Fenster hinaus auf die schwarzen Wolken, die über den opalisierenden Himmel zogen.
Um halb neun brachen die Gäste auf. Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen, vage Einladungen wurden hingeworfen, die Autos setzten sich in Bewegung. Lewis schloss die Tür, Freddie ging mit einem Tablett ins Wohnzimmer. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, dachte sie, da hätte sie gesagt, es war nett, nicht?, selbst wenn sie es gar nicht nett gefunden hätte. An diesem Abend sagte sie nichts, während sie die Gläser einsammelte und aufs Tablett stellte.
Lewis schenkte sich einen Whisky ein. »Du hättest dich ruhig ein bisschen mehr anstrengen können«, sagte er.
Sie fuhr herum . »Ich habe mich sogar sehr angestrengt. Ich habe den ganzen Tag das Haus sauber gemacht und das Essen vorbereitet.«
»Das habe ich nicht gemeint.« Er macht die fahrig ausholende Handbewegung, an der sie erkannte, dass er zu viel getrunken hatte. »Ich meinte heute Abend. Du hast ja kaum einen Ton gesagt.«
»Ich war müde.«
»Müde? Herrgott noch mal, Freddie, wir sind alle müde. Ich arbeite sieben Tage die Woche.«
Sie versuchte, ihren Ärger hinunterzuschlucken. Sie setzte sich. »Ich mache mir Sorgen, Lewis.«
»Ach was? Worüber?«
»Vor allem über Geld.«
» Geld .« Er lachte. »Wozu sich über Geld Sorgen machen.«
»Ich hatte nicht genug für die Flasche Wermut. Ich musste Ronnie im Pub sagen, dass ich ihm den Rest morgen bringe.«
»Eher am Ende des Monats. Oder am Ende des Jahres.«
Sein leerer Blick erschreckte sie; sie konnte nicht erkennen, ob er zornig war oder sie auslachte.
Sie entschied sich für das Lachen. »Ich finde das nicht komisch.«
»Nein, es ist überhaupt nicht komisch.« Er hielt die Whiskyflasche hoch. »Willst du ein Glas?«
»Nein, danke.«
»Du musst eben auf deine Ausgaben achten«, sagte er.
Auf deine Ausgaben achten . Sie hatte ihr Leben lang nichts anderes getan. Tochter ihrer Mutter und Tessas Schwester: Natürlich achtete sie auf die Ausgaben.
»Du gibst mir neuerdings nicht genug Geld, Lewis. Jedenfalls nicht genug, um Leute einzuladen.«
Plötzlich stand er vor ihr, beugte sich, eine Hand auf der Armlehne des Sessels, tief zu ihr hinunter, bis sein Gesicht nur noch wenige Zentimeter von ihrem entfernt war. »Es ist kein Geld mehr da, Freddie. Ich kann dir nichts geben. Verstehst du nicht?«
Sie war entsetzt. »Ich meinte doch nur fünf oder zehn Schillinge«, sagte sie rasch.
»Nein, tut mir leid, ich schaffe nicht mal fünf Schillinge.« Er trat einen Schritt zurück. »Die Werft ist pleite.«
Jetzt brauchte sie einen Whisky. Sie stand auf, schenkte sich ein und kippte einen Schluck hinunter, bevor sie sich zu ihm herumdrehte. »Das ist nicht dein Ernst«, sagte sie. »Das ist doch nur ein Engpass. Jerry wird schon wieder Arbeit hereinholen.«
»Ich habe Jerry seit drei Wochen nicht mehr gesehen.«
Sie starrte ihn ungläubig an. »Was soll das heißen?«
»Genau das. Er war vor drei Wochen das letzte Mal auf der Werft.«
»Und wo ist er?«
»Keine Ahnung.«
»Aber du musst es doch wissen.«
»Nein.
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