Der italienische Geliebte (German Edition)
sie in Verbindung geblieben war, traf mit Verspätung ein. Toby, klein und dunkel, führte ein lockeres Bohemeleben in einer kleinen Mietwohnung in Chelsea. Es störte sie nicht, dass er ihr beim Begrüßungskuss den Po tätschelte, die kleinen Frechheiten, die er sich herausnahm, waren schon immer nur beiläufige Spielerei gewesen.
Als sie ihm erzählte, dass Milos neuestes Buch sich glänzend verkaufte, sagte er unhöflich: »Zum Teufel mit Milo, ich hab mich für dich hier runtergeschleppt, nicht für Milo.« Was sie zu schätzen wusste. Dann sprachen sie über Tobys Arbeit und seine nächste Ausstellung. »Es ist eine Gemeinschaftsausstellung mit Michael Turner, diesem Schwachkopf«, berichtete Toby. »Aber wahrscheinlich besser als gar nichts. Du kommst doch, Becky? Du siehst aus, als könntest du mal einen Tapetenwechsel gebrauchen.«
Rebecca griff sich mit beiden Händen ans Gesicht. »Sehe ich so schrecklich aus?«
Er beruhigte sie sofort. Sie sei so schön wie eh und je, aber sie wirke – bedrückt, als belastete sie etwas. Ob sie mit Onkel Toby darüber reden wolle?
Nein, das wollte sie nicht. Sie lenkte ihn ab – so ein Fest mache immer viel Arbeit, und morgen müsse sie mit Meriel zu ihrer Mutter zum Mittagessen, ihr graue davor. Toby, der ihrer Mutter vor Jahren einmal begegnet war, hatte Verständnis. Etwas später machte sie ihn mit einigen anderen Leuten bekannt, entschuldigte sich und eilte in die Küche. Im Flur blieb sie vor dem großen Spiegel stehen. Waren sie ihr wirklich vom Gesicht abzulesen, die Bedrücktheit und die innere Unruhe ?
Nachdem sie den Musikern etwas zu trinken gebracht hatte, ging sie auf die Terrasse hinaus, und da sah sie die beiden: Milo und dieses junge Ding, Grace King. Sie standen im Schatten der Rotbuche. Grace King gestikulierte heftig und voller Leidenschaft. Milo legte eine Hand um ihren Ellbogen, und ihre wilden Bewegungen kamen zur Ruhe. Das blassblonde Haar fiel ihr über das Gesicht, als sie sich zu ihm neigte. In diesem Moment kam jemand über den Rasen auf die beiden zu und sie fuhren auseinander.
Rebeccas Phantasie lieferte den Text zur Szene: Ich muss dich sehen – du weißt, wie sehr ich dich liebe – Vorsicht, da kommt jemand. Sie wandte sich ab. Sie bekam kaum Luft. Es war, als hätte er ihr das Herz abgedrückt.
Milo hatte immer einen Sinn für die kleinen Gesten gehabt, die rote Rose, den in Seidenpapier gehüllten Ring auf dem Kopfkissen, die flüchtige Liebkosung. Rebecca hätte Grace King am liebsten das glatte Gesicht zerkratzt.
Montag: Er kam erst spät aus Oxford zurück. So ein langweiliger alter Kerl, den er flüchtig kannte, habe ihn aufgehalten, als er auf dem Weg zum Wagen war, sagte er, und in ein endloses Gespräch verwickelt. Rebecca knallte ihm das kalt gewordene Abendessen auf den Tisch und ließ ihn allein sitzen.
Mittwoch Abend: Milo war ewig mit dem Hund unterwegs. Rebecca quälte der Verdacht, dass er an der Telefonzelle haltgemacht und Grace King angerufen hatte. Als er nach Hause kam, fragte sie, wo er gewesen sein.
»Herne Hill.« Er sah sie an. »Was hast du denn geglaubt, wo ich bin?«
»Keine Ahnung. Woher soll ich das wissen?«
»Ach, Herrgott noch mal.« Er warf Julias Leine über einen Garderobehaken und ging nach oben.
Am Samstagabend aßen sie mit Charlie und Glyn. Hinterher spielten sie Bridge. Milo war in Hochform – amüsant, witzig, voller Charme. Sie fragte sich, ob er wusste, dass sie Bescheid wusste, ob er bemerkt hatte, dass sie ihn beobachtete, und großes Theater spielte.
In den frühen Morgenstunden erwachte sie todunglücklich und voll Hass auf sich selbst. So weit war es also gekommen in ihrer Ehe mit dem Mann, der in all ihren gemeinsamen Jahren immer ihre große Liebe geblieben war: dass sie hinter jeder Geste, jedem Lächeln Falschheit und Heuchelei argwöhnte.
Niedergeschlagenheit und Verzweiflung hielten den Tag über an. Sie hatte Kopfschmerzen und fühlte sich abgeschlagen; sie hatte bei den Masons zu viel getrunken. Da Mrs. Hobbs sonntags freihatte, aßen sie und Milo an diesem Tag abends immer nur eine Kleinigkeit und setzten sich dazu ins Wohnzimmer, wo sie die Zeitung lasen und Platten hörten.
Das Telefon läutete, als Milo gerade das Grammophon aufzog. Er ging hin. Rebecca hörte, wie er abhob und sich meldete. Dann senkte er die Stimme. Sie stand auf und ging aus dem Zimmer. Der Hörer des Apparats draußen auf dem
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