Der italienische Geliebte (German Edition)
war ein schönes Zimmer mit Blick auf ein Stück winterbraunen Garten, aber sie kam sich verloren vor, gefangen unter gestärkten Leintüchern und Wolldecken. Sie hatte scheußliche Schmerzen – sie hatte die Schwester gebeten, ihr etwas gegen die Schmerzen zu geben, hatte aber nur zu hören bekommen, dass sie noch nicht weit genug sei.
Die Stunden krochen dahin. Ab und zu kam jemand, maß Puls und Temperatur und verschwand wieder. Um eins brachte eine Schwester ihr das Mittagessen, das sie nicht anrührte. Um fünf das Abendessen. Eine Oberschwester in dunkelblauer Tracht kam ins Zimmer und sagte: »Sie müssen essen, Mrs. Nicolson. Sie brauchen Ihre ganze Kraft.« Also würgte Tessa ein belegtes Brot hinunter und würgte es über dem gestärkten weißen Leinen wieder heraus. Zwei Schwestern kamen und bezogen ziemlich mürrisch das Bett neu.
Danach war sie lange allein. Sie sehnte sich nach Milo, sie sehnte sich nach Freddie. Sie wollte sterben, sie schrie so laut, dass sofort drei Schwestern ins Zimmer gerannt kamen. Die Oberschwester in der dunkelblauen Tracht untersuchte sie und befahl den anderen, sie in den Kreißsaal zu bringen. Nach einer unsäglichen Fahrt in einem ratternden Rollstuhl durch endlose Linoleumgänge half man ihr in einem hell erleuchteten Raum auf eine hochbeinige Liege. Sie bekam Lachgas und Sauerstoff und den Befehl zu pressen, und eine nette Schwester hielt ihr die Hand und versicherte ihr, sie mache das sehr gut. Eine Stunde später kam ihr Sohn zur Welt. Sie wogen ihn – zweitausendneunhundert Gramm –, und die nette Schwester wickelte ihn in eine Decke und legte ihn Tessa in den Arm. Die Oberschwester kam zurück ins Zimmer und zischte: »Was tun Sie da, Dawkins? Nehmen Sie ihn ihr weg. Er wird adoptiert.«
»Nein, wird er nicht«, widersprach Tessa. »Ich behalte ihn.«
So leicht fiel die Entscheidung schließlich. Das Gesicht ihres Sohnes war zerknittert wie ein ungebügeltes Taschentuch, er hatte feines helles Haar und dunkle Augen, die er nur ganz kurz öffnete, um einen fragenden Blick in die Welt zu werfen. Niemals hätte sie ihn hergeben können.
Am nächsten Tag zur Besuchszeit kamen alle: ihre Freunde und Freddie, immer paarweise, weil nicht mehr als zwei Besucher im Zimmer erlaubt waren. Sie überschütteten sie mit Blumen, Schokolade, Büchern und Zeitschriften, und hinterher waren die Schwestern freundlicher zu ihr, weil unter ihren Besuchern eine berühmte Schauspielerin war, die vor allem in musikalischen Komödien brillierte, und ein blendend aussehender Polarforscher.
Am Abend, als alle gegangen waren, kletterte Tessa vorsichtig aus ihrem Bett, holte sich Briefpapier und einen Umschlag und schrieb an Milo. Die nette Schwester Dawkins gab den Brief für sie auf.
Rebecca war im Bad, als er unten den Briefkasten klappern hörte. Er lief hinunter, neuerdings versuchte er immer, als Erster an die Post zu kommen. Und ans Telefon.
Er erkannte Tessas Handschrift sofort, legte die anderen Briefe auf den Flurtisch und riss den Umschlag auf.
»Was ist das?«
Er hob den Kopf. Oben an der Treppe stand Rebecca.
»Ach, nur wieder mal ein Verehrerbrief«, sagte er und tat so, als läse er. »Sie war begeistert vom Regenbogen , aber ihr Lieblingsbuch ist immer noch Penelope . Komisch, dass sie immer glauben, es wäre ein Kompliment, wenn sie das schreiben.«
»Hm«, sagte sie nur. »Rührei oder Bückling?«
»Bückling«, antwortete er automatisch.
Rebecca ging in die Küche. Milo verschwand in seinem Arbeitszimmer und schloss die Tür hinter sich, bevor er Tessas Brief zu lesen begann.
Mein liebster Milo , schrieb sie, ich habe einen kleinen Sohn. Er ist am Donnerstagmorgen in aller Frühe zur Welt gekommen, das Wunderbarste, was ich je gesehen habe.
Der Ansturm widerstreitender Gefühle – Erschütterung, Stolz, Angst und Erleichterung, dass sie die Strapazen der Geburt offenbar gesund überstanden hatte – war so heftig, dass er sich setzen musste, ehe er mit hämmerndem Herzen weiterlesen konnte.
Ich nenne ihn Angelo Frederick. Angelo, weil er mit seinem blonden Haar und den blauen Augen aussieht wie ein kleiner Engel, und Frederick natürlich nach Freddie.
Milo hielt stirnrunzelnd inne. Ich nenne ihn Angelo Frederick …
Schnell las er den Rest des Briefs. Sie hatten über die Möglichkeit gesprochen, das Kind adoptieren zu lassen. Nein, das stimmte nicht ganz – er hatte mehrmals zaghaft
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