Der italienische Geliebte (German Edition)
versucht, das Thema anzusprechen, ängstlich wie ein Pferd vor einem hohen Gatter, weil er wusste, dass er kein Recht hatte, Tessa seine Meinung aufzuzwingen, auch wenn er überzeugt war, dass eine Adoption die beste und vernünftigste Lösung wäre. Aber als wäre sie mit einem siebenten Sinn ausgestattet, lenkte sie jedes Mal ab, wenn er nur daran dachte, ein heikles Thema zur Sprache zu bringen.
Sie war selten ernst; gerade das liebte er an ihr, aber es war manchmal auch ungeheuer ärgerlich. Einmal, als sie zusammen im Bett waren, hatte er mit seltener Klarheit erkannt, dass er sich nichts mehr wünschte, als den Rest seines Lebens mit ihr zu verbringen, und zum Teufel mit allen Schwierigkeiten, aber als er sprechen wollte, legte sie ihm den Zeigefinger auf die Lippen und sagte leise: »Nein, Milo. Sag nichts. So wie es ist, ist es vollkommen.«
Aber er hatte gehofft, sie würde das Kind adoptieren lassen. Er hatte fest damit gerechnet. Es war ja in jeder Hinsicht die gescheiteste Lösung. Das Beste für Tessa und sicher auch das Beste für das Kind. Ein Junge brauchte einen Vater.
Milo starrte zum Fenster hinaus. Es schneite in dicken Flocken, die liegen bleiben würden. Er dachte, ein Sohn , und hatte eine betörende Vision, wie er den Jungen langsam kennenlernen, und einer das Leben des anderen bereichern würde. Der Junge würde ihn natürlich Onkel nennen, und er würde Tessa überreden müssen, ihm nicht ausgerechnet einen Namen wie Angelo anzutun, der ihn von den anderen abheben und ihm in der Schule Hänseleien eintragen würde.
Das schöne Bild zerrann; er sah die kalte Realität. Er erinnerte sich an einen Mitschüler in der Grundschule. Der Junge war ein uneheliches Kind gewesen und die ganze Schulzeit mit einem grauen Hauch von Schande behaftet, der bei Milo Mitleid und gleichzeitig Abscheu hervorgerufen hatte. Er las noch einmal den Brief. Von Adoption war nirgends die Rede; jedes Wort, das Tessa geschrieben hatte, sagte ihm, dass sie entschlossen war, das Kind bei sich zu behalten.
Was würde das für ihn bedeuten? Eine Verlängerung der Ängste und der qualvollen Spannung der letzten sechs Monate auf Lebenszeit und ewige Furcht vor Entdeckung. Dieses halbe Jahr war ein Drahtseilakt gewesen, und sich vorzustellen, dass es so weitergehen würde, war fürchterlich. Tessa schien zu glauben, sie würden ihre Beziehung wie bisher fortführen und die Abkunft des Kindes geheim halten können, aber Milo wusste, dass das Illusion war. Früher oder später würde man sie zusammen sehen. Sie standen beide im Licht der Öffentlichkeit, sie durch ihre Karriere als internationales Fotomodell, er durch seinen Erfolg als Autor. Der Skandal würde ihn vernichten.
Milo begann zu schreiben. Liebste Tessa, ich habe mich so sehr über deine Nachricht gefreut. Starrte auf die Worte hinunter, zerriss das Blatt in kleine Fetzen und nahm ein neues. Liebste Tessa, ich bin so glücklich und erleichtert, dass alles gut gegangen ist …
Sehr zu Freddies Enttäuschung zeigte der Kleine mit niemandem auffallende Ähnlichkeit. Nicht einmal mit Tessa, fand sie. Angelo sah aus – diese Meinung wurde von Tessa nicht geteilt – wie ein kleines Wesen von einem anderen Stern, außerirdisch, nicht wie ein richtiger Mensch. Tessa fand ihn bezaubernd schön, aber das war nur verständlich. Er hatte eine erstaunlich große Nase und erstaunlich große Hände und Füße, ein rotes Kussmäulchen und sehr dunkle blaue Augen, die manchmal unabhängig von einander zu agieren schienen, während das eine geschlossen blieb, wanderte der Blick des anderen lebhaft umher. Aber er war trotzdem sehr süß, und sein komisches Maunzen, wenn er hungrig war, die Art, wie er sich an ihrer Brust zu einem kleinen Bündel zusammenkuschelte und einschlief, entzückten sie immer wieder.
Als Tessa nach zehn Tagen aus der Klinik nach Hause kam, beobachtete Freddie aufmerksam die Reaktionen der männlichen Besucher auf Angelo, immer auf der Suche nach – ja, was? Schuldbewusstsein? Väterlicher Zuneigung? Natürlich war es nicht besonders anständig, so neugierig zu sein, aber sie konnte nicht anders. Ihr war schon der Gedanke gekommen, dass Tessa vielleicht selbst nicht wusste, oder zumindest nicht mit Sicherheit, wer Angelos Vater war. Was für ein Leben, dachte Freddie beinahe sehnsüchtig, wenn es einem passieren konnte, dass man den einen Liebhaber mit dem nächsten verwechselte.
Wenn Freddie Tessas Freunden den kleinen
Weitere Kostenlose Bücher