Der italienische Geliebte (German Edition)
Frühjahrssaison bereits unter Vertrag. Sie ließ nicht locker, weil sie das Geld brauchte, nicht nur für sich, sondern vor allem für Angelo und Freddie. Sie forderte Gefälligkeiten ein, aktivierte alte Kontakte und schaffte es endlich, als Angelo sieben Wochen alt war, sich zwei Tage Arbeit für die Vogue zu sichern, als Hutmodell.
Sie engagierte über eine Agentur ein Kindermädchen, das sich tagsüber um Angelo kümmern würde. Am Abend zuvor vergewisserte sie sich, dass genug saubere Windeln, Nachthemdchen, Laken und Handtücher, sowie sterilisierte Flaschen und Sauger da waren. Sie stand früh um halb sechs auf, um genug Zeit zu haben, Angelo zu baden, zu füttern und anzuziehen und sich dann selbst zurechtzumachen. Sie blieb lange genug, um dem Kindermädchen, das sie ein kleines Vermögen kostete, alles zu zeigen, dann gab sie ihrem Sohn einen Kuss, nahm ihre Tasche und rannte los. Im Aufzug dachte sie, sie wirkt eigentlich ganz nett, aber was ist, wenn sie vergisst sein Fläschchen zu wärmen? Wenn sie ihn stundenlang schreien lässt, während sie seelenruhig herumsitzt und in Zeitschriften blättert? Wenn sie in Wirklichkeit gar kein Kindermädchen ist, sondern ihn entführt, und ich ihn nie wiedersehe?
Sie überlebten es. Das war es, worum es in diesen Tagen ging: das Überleben. Sie hatte keine Vorstellung davon gehabt, wie umständlich es war, mit einem Baby in London von einem Ort zum anderen zu kommen. Taxis waren teuer, und sie wollte sparen, und der Riesenkinderwagen ließ sich weder in den Bus noch die Untergrundbahn bugsieren. Sie gewöhnte sich einen gewissen Rhythmus an, um die Forderungen des Tages zu bewältigen. Manchmal, wenn Angelo schlief und sie die alltäglichen Dinge des Lebens erledigt hatte – essen, schlafen, ausgehen, Freunde treffen –, fand sie, es ginge alles ganz gut. Zu anderen Zeiten, wenn sie keine Arbeit bekam und Angelo die ganze Nacht schrie, wenn sie nicht einmal dazu kam, sich die Haare zu waschen, und kein Mensch anrief, weinte sie sich genau wie ihr Kind in den Schlaf.
Sie lernte, bei der Arbeit niemals von Angelo zu sprechen. Wenn sie arbeitete, musste sie die strahlende, schöne Tessa Nicolson sein, ganz unverändert, als könnte die Erfahrung von Schwangerschaft und Geburt abgelegt und vergessen werden wie ein vergangener Urlaub oder Zahnschmerzen. Wenn ein Fotograf länger mit ihr arbeiten wollte, durfte sie nur sagen, ich muss meinen Zug erwischen oder, ich bin verabredet – auf keinen Fall Ich muss nach Hause zu meinem Kind, weil ich so müde bin, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen kann und im Stehen einschlafen werde, wenn Sie von mir verlangen, auch nur einen Moment länger stillzuhalten.
Sie sah jetzt vieles anders. Sie bemühte sich, auf ihre Ausgaben zu achten, was jetzt, da sie kaum zum Einkaufen kam, leichter war, und sie sorgte dafür, dass die Wohnung auch an den freien Tagen des Mädchens sauber war, weil sie nicht wollte, dass Angelo sich irgendeinen Bazillus holte. Die Zeit war zur Kostbarkeit geworden. Sie lernte es, sich am Morgen eines Arbeitstags in kürzester Zeit fertig zu machen und, wenn nötig, ihre Sachen, Schlüssel, Lippenstift und Portemonnaie, mit Angelo im Arm zusammenzusuchen. Sie lernte, den Kinderwagen reibungslos in den Aufzug und wieder aus ihm heraus zu befördern, Angelos Tragekorb sicher in dem kleinen MG zu verstauen. Angelo liebte es, im Auto herumkutschiert zu werden. In den ersten Wochen packte sie ihn, wenn er spätabends einfach nicht einschlafen konnte, ins Auto und fuhr mit ihm herum, bis ihm die Augen zufielen. Ein wunderbarer Friede breitete sich in ihr aus, wenn sein Weinen allmählich leiser wurde und dann ganz versiegte, während sie durch die dunklen, stillen Straßen rollten. Als sie in den Zwischenferien Ende Februar mit Angelo zu Freddie nach Oxford fuhr und er in seinem Körbchen die ganze Fahrt durchschlief, war sie so stolz, als hätte sie den Mount Everest bezwungen.
Es gab Dinge, die Tessa kränkten. Es kränkte sie, wenn jemand, dem sie mit dem Kinderwagen begegnete, sagte: »Aber ich dachte, er sollte adoptiert werden.« Oder wenn jemand Angelo ansah, als sollte er besser gar nicht existieren, als wäre er etwas Schmutziges, Krankes, als hätte er den Fehltritt begangen und nicht sie. Solange andere dabei waren, verzog sie keine Miene, aber allein weinte sie bittere Tränen.
Aber am meisten gekränkt fühlte sie sich durch Milo. Als er seinen Sohn das erste Mal
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