Der italienische Geliebte (German Edition)
gesehen hatte, war sie tief bewegt gewesen von dem Ausdruck ehrfürchtigen Staunens in seinen Augen. Mit der Zeit kam sie allerdings zu der Überzeugung, dass das ehrfürchtige Staunen eher Bestürzung gewesen war. Sie hatte geglaubt, dass Milo seinem Sohn, auch wenn er ihn nicht öffentlich anerkennen konnte, eine unvergleichliche Zärtlichkeit entgegenbringen würde. Sie hatte sich eine einzigartige Beziehung vorgestellt: Wenn er nicht Angelos Vater im konventionellen Sinn sein konnte, so würde er ihm etwas anderes, ebenso Kostbares sein.
Was in den frühen Monaten ihrer Beziehung aufregend gewesen war – die Heimlichkeit, das Spielerische, die gestohlenen Stunden –, hatte seinen Reiz verloren. Sie war härter geworden durch die Mutterschaft, weniger nachsichtig. Wollte er die Beziehung abkühlen lassen? War das möglich? Nein, das konnte sie nicht von ihm glauben. Dennoch ertappte sie sich dabei, dass sie nachzählte, wie oft er eine Verabredung hatte platzen lassen, wie oft er ein Telefongespräch abgebrochen hatte, und haderte mit sich selbst, weil sie damit ihre eigenen Regeln brach. Regeln in der Liebe – wie töricht von ihr, geglaubt zu haben, dass der alltägliche Handel und Wandel des Herzens für sie nicht gelte.
5
» Es war sehr nett gestern Abend «, sagte Rebecca. »Schade, dass du nicht kommen konntest.«
Es war ein Sonntagmorgen Anfang März, und die Schwestern waren auf der Fahrt nach Abingdon zum obligaten Mittagessen mit ihrer Mutter. Am Abend vorher hatten die Rycrofts ihr Fest zur Feier der Veröffentlichung von Mittwinterstimmen veranstaltet.
»Ich mag solche Feste nicht besonders«, sagte Meriel. »Dieses ständige Herumstehen. Was so toll daran sein soll, im Stehen zu essen und dabei mit Teller und Besteck zu jonglieren, ist mir wirklich schleierhaft.«
Meriel sagte das jedes Mal, und jedes Mal ärgerte es Rebecca. Die Feste der Rycrofts waren berühmt – die Leute schlugen sich um Einladungen. Es konnte doch nicht zu viel verlangt sein, dachte Rebecca, von ihrer einzigen Schwester ein bisschen mehr Wohlwollen zu erwarten.
»Na, wir haben uns jedenfalls gut amüsiert«, bemerkte sie spitz. »Es ging bis nach eins.«
»Ich liege gern um zehn in meinem Bett.«
Gereizt von Meriels Taktlosigkeit und vom gewohnten Unbehagen vor einem Besuch bei ihrer Mutter geplagt, kniff Rebecca die Lippen zusammen, um sich nicht zu einer bissigen Erwiderung hinreißen zu lassen. Sie war müde; sie hätte gut eine Stunde mehr im Bett gebrauchen können. Sie schaltete krachend und konzentrierte sich schweigend aufs Fahren.
»Ich komme mir bei solchen Festen sowieso immer vor wie taub«, erklärte Meriel nach einer Weile. »Dieses Gerede von allen Seiten, man versteht ja sein eigenes Wort nicht. Ich rufe Milo einfach an und gratuliere ihm.«
Rebecca sah das als Friedensangebot. Meriel telefonierte fast nie mit Milo. »Da würde er sich bestimmt freuen«, sagte sie und fügte dann vertraulich hinzu: »Er ist ziemlich verschnupft, weißt du. Irgendeine Frau hat sein Buch in der Times schlecht besprochen.«
Das Freundlichste, was man vielleicht zu Mr. Rycrofts Gedichten sagen kann, hatte die Kritikerin geschrieben, ist, dass er sich aufs Romanschreiben konzentrieren sollte. Der Kommentar hatte Milo merklich getroffen. Nicht einmal das Fest hatte ihn aufzuheitern vermocht; im Gegenteil, er hatte sich, ganz ungewohnt bei ihm, so schwer betrunken, dass Charlie Mason ihr hatte helfen müssen, ihn nach oben in sein Bett zu bringen.
»Ach, das tut mir aber leid«, sagte Meriel. »Aber eigentlich waren die Gedichte ja sowieso mehr ein Spaß, oder nicht?«
»Er hat sehr ernsthaft an ihnen gearbeitet«, antwortete Rebecca ein wenig pikiert.
»Na ja, es ist vielleicht ein bisschen viel erwartet, gleich auf zwei Gebieten die tollsten Erfolge zu erzielen. Es ist doch schon phantastisch, nur auf einem wirklich gut zu sein.«
»Ja, da hast du wahrscheinlich recht.« Rebecca bremste vor einer Kreuzung ab, schaute links und rechts und fuhr weiter. »Wie geht es Dr. Hughes?«
Meriel verzog den Mund. »Deborah will ihn unbedingt überreden, nach Cornwall umzuziehen.«
»Nach Cornwall?«
»Ja. Ihrer Gesundheit wegen. Deborah liebt Cornwall offenbar.«
»Und was wird dann aus seiner Arbeit?«
»Ja, ich weiß, das ist wirklich schlimm, nicht? Er ist ja seit Ewigkeiten unser Internatsarzt.«
»Schlimm für dich .«
»Ja.« Meriel drehte
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