Der italienische Geliebte (German Edition)
Angelo schlief noch beim Trinken wieder ein. Tessa legte ihn in seinen Korb zurück und rührte ihren Tee. Eine Erinnerung griff ihr eisig ans Herz: Milo, wie er sie an dem Tag, an dem sie ihm gesagt hatte, dass sie ein Kind erwartete, geküsst hatte. Sie dachte an dieses schreckliche Mittagessen, bei dem sie beide kaum einen Bissen hinuntergebracht hatten, an die Bestürzung in seinem Blick, als sie es ihm gesagt hatte. Und doch hatte er sie draußen vor dem Fotostudio an sich gezogen und die Hände unter ihren Mantel geschoben, um sie zu halten. Sie hatten sich aneinandergeklammert, als wollten sie gemeinsam Wurzeln schlagen, um niemals getrennt zu werden. Der Körper log nicht; sie wusste, dass er sie damals geliebt hatte. Sie ließ drei Pence für die Bedienung zurück, ergriff den Korb und ging. Im Auto blieb sie einen Moment ermattet sitzen. Sie wünschte sich, sie wäre nicht allein. Sie wünschte, Freddie oder Ray oder Max wären jetzt bei ihr.
Sie fuhr weiter, über die Chilterns. Ein Lastwagen überholte sie und überschüttete die Windschutzscheibe mit Fontänen schmutzigen Wassers, sodass sie sekundenlang kaum etwas erkennen konnte. Angelo begann in seinem Korb zu greinen. »Pscht, jetzt ist es nicht mehr weit«, tröstete sie. Den Hügel hinauf wurde der Lastwagen immer langsamer, und sie konnte nur hinter ihm herkriechen. Als er an einer Kreuzung anhielt, musste auch Tessa anhalten. Angelos Gejammer wurde lauter. Der Lastwagen fuhr wieder an. Tessa blieb hinter ihm, hielt Ausschau nach einem geraden Stück Straße, wo sie vielleicht überholen konnte. Ein im Regen verschwimmender blau-orangefarbener Schimmer formte sich beim Näherkommen zu einem im Wind schwankenden Reklameschild für Lyons Tee. Ein Radfahrer in gelbem Ölzeug sauste ihnen den Hang hinunter entgegen, das einsame Licht seines Scheinwerfers verwischt und vielfach gebrochen. Wie weit noch? Angelo hatte die Händchen zu Fäusten geballt und schrie aus Leibeskräften. »Gleich sind wir da, Schatz«, sagte sie. »Gleich sind wir da, ich versprech’s dir.« Ihr Herz raste; sie streckte den Arm nach ihm aus und streichelte sein Gesicht, um ihn zu trösten. Regen prasselte auf das dünne Verdeck. Der Lastwagen bremste vor einer Kurve ab, Tessa hätte vor Ungeduld schreien können wie Angelo. Doch hinter der Kurve dehnte sich die Straße endlich schnurgerade und völlig frei vor ihr, sie trat das Gaspedal durch und zog den Wagen auf die andere Straßenseite.
Durch den strömenden Regen sah sie schemenhaft einen Pferdewagen aus einem Feldweg kommen, der rechts vor ihr in die Straße mündete. Ihre Hand schoss zur Hupe – ein winziger Moment der Unentschlossenheit: Würde das laute Geräusch das Pferd erschrecken? Sie glaubte, noch genug Raum zu haben, um rechtzeitig wieder auf die linke Straßenseite einzuscheren, und riss das Lenkrad herum.
Der Wagen schleuderte, die Reifen griffen auf der nassen Fahrbahn nicht mehr. Obwohl sie verzweifelt versuchte, das Fahrzeug wieder unter Kontrolle zu bringen, schlitterte es mit durchdrehenden Rändern quer über die Fahrbahn. Tessa hörte sich schreien. Dann zersprang alles um sie herum in fliegende Splitter – das Schreien des Kindes, das Quietschen der Bremsen, das Prasseln des Regens – und vor ihr bäumte sich die Straßenhecke auf, eine grün-braune Mauer, die die Windschutzscheibe verdunkelte.
Der Graben und die Hecke bremsten den Wagen ab. Tessa wurde gegen das Lenkrad geschleudert, dann gegen die Rückenlehne, dann noch einmal gegen das Lenkrad.
Es war, als wäre eine Welle über ihr zusammengeschlagen. Sie sah nur noch gebrochenes Licht und blitzende Scherben.
Dann versank sie in den Tiefen, in Dunkelheit und Kälte. Und alles war still.
Der Anruf bei Tessa Nicolson hatte Rebecca erleichtert. Sie hatte für den gerechten Ausgleich gesorgt. Jetzt wusste auch Miss Nicolson, wie man sich fühlte, wenn man betrogen wurde.
In den folgenden Tagen umkreisten sie und Milo einander vorsichtig. Die Verletzungen waren tief und schmerzhaft, und es war, als schleppten sie sich mühsam mit ihren offenen Wunden durchs Haus. Wenn sie in der Nacht erwachte, war sie sicher, dass sie ihn verlieren würde. Alle ihre Ängste flammten auf, sobald er das Haus verließ. Sie fürchtete, er werde nicht zurückkommen.
Am Donnerstag, als Rebecca gegen Abend den Tisch deckte, läutete das Telefon.
Sie ging hin. »Ja? Hier Rebecca Rycroft.«
»Mrs. Rycroft –«, eine
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