Der italienische Geliebte (German Edition)
Frau versprochen, sie nicht anzurufen – war er kleinlaut und gehorsam in den Schoß der Ehe zurückgekehrt, wieder ganz der brave Ehemann, als hätte es ihre Beziehung nie gegeben?
Tessa dankte der Telefonistin und legte auf.
Sie ging ans Fenster und zündete sich eine Zigarette an. Regen lief an der Scheibe herunter, durch das Glas war nichts zu erkennen als ein verwischtes Aquarell aus Grau- und Brauntönen. Sie hatte plötzlich Sehnsucht nach dem italienischen Frühling, nach Farben und einem Licht, das wie Champagner funkelte. Es gab so viele Wege, eine Liebesbeziehung zu beenden. Mit einem Streit, einem Brief, einem Schweigen. Viele – die meisten – würden sagen, dass sie kein Recht hatte, sich so verletzt zu fühlen. Sie wandte sich vom Fenster ab und starrte, die Faust auf den Mund gedrückt, zu dem Kind hinunter, das in seinem Korb wieder eingeschlafen war.
Nun gut. Milos Frau wusste von der Affäre. Was hatte sie noch gesagt? Dass Milo eine andere hatte. Eine andere Geliebte. Wie hatte sie gesagt? Er ist ein Mann, der immer Seitensprünge macht. Hatte sie gelogen, um zu verletzen, oder konnte es doch stimmen?
Sie wusste es nicht. Schrecklich, zu merken, dass sie ihm nicht traute. Er hat sich neu orientiert und etwas anderes aufgetan. So ein kleines Flittchen in Oxford. Sie heißt Grace King. Sie wohnt in der Woodstock Road. War sie selbst also einfach nur zu haben gewesen?
Gut, verlass mich, wenn du musst, Milo Rycroft, aber verlass nicht deinen Sohn. Wie eine Wahnsinnige rannte sie durch die Wohnung, packte Regenmantel, Schirm, Schlüssel, Fläschchen und Windeln zusammen. Sie musste es wissen. Was fiel ihm ein, sich vor ihr zu verstecken? Besaß er nicht einmal den Anstand, den Mut, ihr die Wahrheit ins Gesicht zu sagen? Sie würde sich von ihm nicht hinhalten lassen wie ein lästiger Gläubiger. Jede andere Affäre hätte sie einfach ad acta legen können, aber nicht diese. Eines Tages würde sie Angelo von seinem Vater erzählen müssen. Was sollte sie ihm sagen? Dass sein Vater ihm so wenig Interesse, so wenig Gefühl entgegengebracht hatte, dass er ihm den Rücken kehrte, bevor er noch drei Monate alt gewesen war?
Tessa nahm den Tragekorb und verließ die Wohnung. Sie fuhr mit dem Aufzug nach unten. Der Portier hielt den Regenschirm über den Babykorb, als sie zu ihrem MG rannte. Sie stellte den Korb auf den Beifahrersitz, dann fuhr sie los, in südwestlicher Richtung zur Straße nach Harrow. Angelo schlief. Beim Fahren wurde sie allmählich ruhiger. Die Konzentration, der Fußwechsel zwischen Gas- und Bremspedal, das Schaben der Scheibenwischer wirkten hypnotisch. Sie war immer schon gern unterwegs gewesen. Sie brauchte Bewegung, das Gefühl voranzukommen, einem Ziel entgegen.
In Harrow on the Hill tankte sie und kaufte Zigaretten. Während sie auf eine Lücke im Verkehrsstrom wartete, dachte sie daran, umzukehren und wieder nach Hause zu fahren – die Vergeblichkeit dieser Reise, da sie ihn doch schon verloren hatte! –, aber sie wusste, dass das nur ein Aufschub sein würde. Besser gleich klare Verhältnisse schaffen. Sie fuhr weiter. An Straßenkreuzungen und Bushaltestellen drängten sich in Regenmäntel eingepackte Fußgänger mit aufgespannten Schirmen. Die Fahrt durch die Vorstädte war ein einziges Stoppen und Starten in einer endlosen Autoschlange, die vorbeikroch an Reihen nichtssagender Häuser, Verputz und Fachwerk, in der Einfahrt ein schwarzer Austin oder Morris, tropfende Lorbeer- und Ligusterhecken zur Abgrenzung der Vorgärten von der Straße. Das ist nicht mein Land, dachte sie. Sobald Freddie einundzwanzig ist, gehe ich nach Italien zurück.
Dann lichtete sich der Verkehr, Felder und kleine Wäldchen lösten die Häuserreihen ab. In Rickmansworth bog sie nach Süden ab zu der Straße, die sie durch Beaconsfield und über die Hügel der Chilterns nach Oxford bringen würde. Angelo wurde langsam wach. Am Rand von High Wycombe hielt sie an einem Café, bestellte sich Tee und bat um einen Krug heißes Wasser, um Angelos Flasche zu wärmen. Die Bedienung, ein Mädchen von vielleicht sechzehn Jahren mit einer unvorteilhaften Kappe auf den Dauerwellen, bewunderte Angelo, während Tessa ihn fütterte. »Der ist ja süß. Wie alt ist er denn? Wenn ich mal heirate, will ich vier kleine Jungs. Bloß keine Mädchen – die sind viel schwieriger, sagt meine Mam.« Das Mädchen streichelte Angelos Wange. »Dein Papa ist bestimmt stolz auf dich.«
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