Der italienische Geliebte (German Edition)
es einfach Interesselosigkeit war, dass er Komplikationen und Konflikte scheute. Sie hatte geglaubt, nach Milo sei das genau das, was sie sich wünschte, aber das stimmte nicht. Ein Streit mit Harrison war wie ein Streit mit einem nassen Waschlappen.
Sie machte sich aus den Resten etwas zu essen, hatte dann aber überhaupt keinen Appetit und stellte die kleine Mahlzeit mit einem Teller abgedeckt aufs Fensterbrett, um sie kühl zu halten. Sie war froh, dass sie gerade jetzt, wo sie sich so krank fühlte, nicht reden musste.
Zum Einschlafen trank sie, was vom Whisky noch übrig war, wurde aber trotzdem in dem frühen Morgenstunden von einem Hustenanfall aus dem Schlaf gerissen. Jetzt war nichts Erfreuliches mehr daran, allein zu sein. Sie wusste, dass sie wertlos und schlecht war, ihr war recht geschehen, dass Harrison sie verlassen hatte. Ihre Gedanken trugen sie Monate zurück, und sie erlebte wieder den Moment ihres ersten Anrufs, nachdem sie entdeckt hatte, dass Milo sie mit Tessa Nicolson betrog; den Schmerz und die abgrundtiefe Wut, die zu so schrecklichen Konsequenzen geführt hatte. Das Baby ist tot. Es wurde aus dem Wagen geschleudert. Sie sagen, dass es sofort tot gewesen sein muss. Ihr Entsetzen war so lebendig und überwältigend wie damals vor sieben Monaten, als Freddie Nicolson in der Alten Mühle angerufen hatte. Ihre Schuld lag auf ihr wie ein Bleigewicht und ließ sie kaum atmen.
Die nächsten zwei Tage verbrachte sie im Bett. Sie wusste nicht, wozu sie hätte aufstehen sollen. Es war niemand da, mit dem sie hätte reden können, es gab nichts zu tun. Jetzt fühlte sie sich einsam, jetzt wünschte sie, es wäre jemand da, ganz gleich, wer. Sie wünschte, sie hätte den Hund mitgenommen, als sie Milo verlassen hatte – Julia wäre Gesellschaft gewesen. Sie legte das feuchte Kopfkissen zum Trocknen auf den Herd und setzte sich dann, zwei Kissen und eine zusammengefaltete Jacke im Rücken, wieder ins Bett und versuchte, nicht zu husten. Als sie sich später in der Küche eine Tasse Tee machte, sah sie in der Ferne zwei Gestalten, die langsam über das Moor gingen – Wanderer wahrscheinlich, nach den großen Rucksäcken zu urteilen, die sie trugen. Der Regen bildete eine Wand zwischen ihr und ihnen. Sie hatte seit mehr als zwei Tagen nicht mehr gesprochen. Wenn sie zu rufen versuchte, würde wahrscheinlich nur ein heiseres Krächzen aus ihrem Mund kommen.
In dieser Nacht träumte sie, dass Tessa Nicolsons Kind weinend auf dem Dach lag und sie es zu erreichen versuchte. Sie stand auf Zehenspitzen auf der Leiter und streckte die Arme aus, bis sie schmerzten. Aber das Kind blieb immer knapp außer Reichweite.
Sie weinte, als sie erwachte, im Ohr noch das Schreien des Kindes. Sie begriff, dass sie einen Zusammenbruch hatte, und ein Rest Selbsterhaltungsgefühl trieb sie, immer noch weinend und hustend aufzustehen und ein paar Kleidungsstücke überzuwerfen. Schwach und wacklig auf den Beinen, musste sie sich an der Wand abstützen, um sich die Treppe hinunter zu schleppen. In der Küche sah sie, dass kein Wasser mehr da war. Mit einem Emaillekrug ging sie zur Pumpe hinaus. Es hatte aufgehört zu regnen, sie musste die Augen zusammenkneifen gegen das funkelnde Licht. Zurück im Haus legte sie die letzten Stück Kohle auf die dünne Glut im Herd, schüttete etwas Wasser in den Kessel und setzte ihn auf. Sie sollte zum Dorfladen fahren, dachte sie, und sich eine Flasche Hustensaft besorgen.
Draußen war es wärmer als drinnen. Sie zog einen Stuhl ins Freie und setzte sich vor die Tür. Die Moorlandschaft schimmerte wie Changeantseide. Pfützen, Bäche, Steine glitzerten im Licht. Das Land vor ihr sah aus wie frisch gewaschen, neu und schön. Sie dachte an das arme kleine Kind, das solche Schönheit niemals erleben würde, und begann wieder zu weinen. Was für eine Verschwendung, dachte sie, was für eine schreckliche, dumme, unverzeihliche Verschwendung.
Als sie aufsah und sich die Augen wischte, bemerkte sie nicht weit entfernt einen Wanderer, der auf dem schmalen Fußweg durch die Heide auf das Haus zukam. Einen Augenblick lang glaubte sie, es wäre Harrison, der zurückgekommen war, um nach ihr zu sehen, aber sie sah bald, dass der Wanderer kleiner und älter war als Harrison.
An der Trockenmauer blieb er stehen und lüftete seine Schirmmütze. »Guten Morgen. Ein herrlicher Tag, nicht wahr?« Das Gesicht unter dem silbergrauen Haar war gebräunt und von Falten durchzogen.
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