Der italienische Geliebte (German Edition)
ich nur aus einer Laune heraus hierhergekommen bin, ohne mir alles richtig zu überlegen. Habe ich recht?«
»Nein.« Freddie blickte auf ihre Hände hinunter. Sie dachte an das, was Max an jenem Tag im Park zu ihr gesagt hatte. »Ich habe Angst, dass dir alles egal ist«, sagte sie leise.
Tessa legte Nadel und Faden aus der Hand. »Ja, so war es lange Zeit, das ist wahr. Ich habe mir nur noch gewünscht, ich wäre mit Angelo zusammen gestorben.«
Freddie wagte kaum, die Frage zu stellen: »Und jetzt?«
»Ab und zu kommt es vor, dass mich etwas freut. Ich sitze auf der Piazza und spüre die Sonne in meinem Gesicht. Ich höre die Leute auf dem Markt miteinander reden, und eine Weile bin ich froh, dabei zu sein. Ich habe mir hier ein eigenes Leben geschaffen. Es ist ein kleines Leben, nicht zu vergleichen mit dem, das ich mir früher gewünscht habe, aber es passt mir. Ich habe Freunde, italienische Freunde, die mir im Notfall helfen würden. Wenn ich nicht hierbleiben kann, gehe ich aufs Land und verschwinde irgendwo in den Bergen.«
Freddie war es zu heiß in dem kleinen Zimmer. Schweiß rann ihr den Nacken hinunter, und die Schultern, die sie sich bei ihrem langen Spaziergang in der Sonne verbrannt hatte, taten weh. »Wenn du hierbleibst«, sagte sie, »werde ich ständig Angst um dich haben. Wenn es Krieg gibt, werde ich Angst um dich haben. Ich werde jeden Tag um dich Angst haben.«
»Das tut mir leid«, sagte Tessa sanft. »Das tut mir wirklich leid.«
Sie nahmen einen Bus nach Fiesole. Die Straße wand sich den Hügelhang hinauf; Bougainvilleen und Oleander überzogen die hohen Mauern, hinter denen die Villen der Reichen standen. Auf dem Hauptplatz stiegen sie aus und gingen zu Fuß aus dem kleinen Ort hinaus zur Villa Millefiore, wo sie damals bei Mrs. Hamilton gewohnt hatten.
Die Türen der Villa waren verschlossen, die Fensterläden vorgelegt. Auf einer Seite des Hauses führte ein schmaler, von Brennnessel und Winden überwachsener Fußweg am Park entlang abwärts. Sie gingen hintereinander, Tessa mit einem Stock voraus, um das hohe Unkraut auseinanderzuhalten.
Die letzten Bäume zu beiden Seiten blieben zurück, und die Sonne brannte mit ihrer ganzen Glut auf den Weg. Sie zwängten sich durch eine Lücke im Eisengitter und gelangten in ein Lorbeerwäldchen. Das dunkle, ledrige Laub der hohen Büsche bildete ein Dach über ihnen, durch das Lichtsprenkel einfielen, und die bittere Würze des Lorbeers mischte sich mit dem staubigen Geruch ausgetrockneter Erde. Winzige graue Falter stiegen wie abgerissene Spinnwebfäden aus den Büschen.
Hier im Lorbeerwäldchen, erinnerte sich Freddie, hatte Faustina Zanetti ihre alte Puppe begraben, und sie hatten sie trotz unermüdlicher Suche nie wiedergefunden. Lag sie immer noch hier, die porzellanblauen Augen auf ewig geschlossen, das gelbe Haar von Erde geschwärzt? Hinter dem Lorbeer war ein Stechpalmenwald. Runzlige braune Blätter bedeckten den Boden, und die stacheligen Äste griffen nach Ärmeln und Säumen.
Aus dem Wald traten sie in den Park. Freddie sah blinzelnd in die Sonne. Die Kieswege waren von Gräsern und Unkräutern überwuchert. Die Arme auf die Mauer am Wasserbecken gestützt, sah Freddie in die tiefe, dunkle Schale hinunter. Es roch nach Fäulnis, und auf dem schlammigen grünen Wasser tief unten schwirrten Fliegen. Das Meeresungeheuer, von Girlanden aus khakibraunen Fadenalgen bedeckt, blickte, auf seiner Insel gefangen, grimmig auf sie herab.
»Ich bin so gern hier geschwommen«, sagte Freddie. »Wir haben immer ausprobiert, wer am längsten den Atem anhalten kann. Weißt du noch?«
»Guido. Guido war immer der Beste.« Tessa streckte sich rücklings auf der Mauer aus und gab sich, die Augen von einer dunklen Brille geschützt, der Sonne hin.
Freddie erinnerte sich an Nachmittage an diesem Becken: Sonne, Hitze und die Zanetti-Jungen, Guido und Sandro, wie sie mit sonnenbraunen Armen das Wasser durchschnitten. Guidos dunkler Kopf, glatt und tropfend.
Sie warf einen kleinen Stein ins Becken. »Glaubst du, es war schwierig für Mama, hier zu leben? Ich meine, es war ja nicht ihr Haus.«
»Nicht sobald sie Domenico hatte.«
Noch ein Steinchen – ein sanftes Platschen, ein Echo. »Ich habe Domenico gern gemocht«, sagte Freddie. »Er war viel netter als Mamas andere Liebhaber.«
»Viel netter als Vater«, fügte Tessa hinzu.
»Ich erinnere mich kaum an ihn. Manchmal hat er mir
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