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Der italienische Geliebte (German Edition)

Der italienische Geliebte (German Edition)

Titel: Der italienische Geliebte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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abends eine Geschichte vorgelesen.«  
    »Ich weiß noch, wie er einmal einen Stuhl durchs Fenster geschmissen hat. Und Mama sich an der Hand geschnitten hat, als sie die Glasscherben aufsammelte.« Tessas Gesicht war der Sonne zugewandt, und als sie sich das Haar aus der Stirn strich, sah Freddie die zackige Narbe. »Wenn sie sich gestritten haben, dachte ich immer, es wäre meine Schuld, ich wäre nicht brav genug gewesen.«  
    »Mama hat mir einmal erzählt, als sie Vater das erste Mal sah, habe sie gefunden, er sehe aus wie ein Seeräuber.« Freddie warf noch ein Steinchen ins Wasser. »Ich habe sie damals gefragt, warum sie jemanden heiraten wollte, der wie ein Seeräuber aussah.«  
    »Als ich Angelos Vater das erste Mal begegnete«, sagte Tessa nachdenklich, »war er interessant und beim zweiten Mal amüsant. Beim dritten Mal habe ich mich in ihn verliebt.« Sie hob den Kopf mit den schwarzen Gläsern über den Augen, um Freddie anzusehen. »Man hat keine Wahl, Freddie. Es passiert einfach.«  
    Freddie glaubte ihr das nicht. Sie vermutete, um sich zu verlieben, musste man es wollen , wenigstens ein bisschen. Es passierte einem nicht einfach wie ein Stolpern über den Bordstein – und selbst das konnte man vermeiden, wenn man achtgab.  
    Du kannst jederzeit hier bei mir bleiben. Überleg es dir. Wenn Tessa nicht nach London zurückkam, würde sie eben bei Tessa in Florenz bleiben. Sie würden zusammen in den zwei Zimmer über dem Antiquariat wohnen, und sie würde sich, sobald ihr Italienisch gut genug war, eine Anstellung in einem Geschäft oder vielleicht einem Büro suchen. Abends würden sie im ockerfarbenen Licht in Tessas Zimmer zusammen essen. Sie würde sich daran gewöhnen, und nach einiger Zeit würde sie auch keinen Sonnenbrand mehr bekommen.  
    Aber irgendwie war ihr nicht wohl dabei. Sie mochte es drehen und wenden, wie sie wollte, es überzeugte nicht.  
    Die Wände der englischen Tea-Rooms waren voll mit politischen Schmierereien, und die Hotels, die Edens, Bristols und Britannias, hatten auf einmal neue Namen, italienische Namen. Die meisten Angehörigen der englischen Kolonie waren aus der Stadt geflüchtet, plötzlich gar nicht mehr gern gesehen und umworben wie früher. Manche von ihnen hatten Jahrzehnte in Florenz gelebt.  
    Freddie konnte nicht richtig beurteilen, wie sehr Florenz sich verändert hatte, ihre Erinnerungen an die Stadt waren zu lückenhaft. Sie bestanden vor allem aus Momentaufnahmen und einzelnen Vignetten. Sie war ein Kind gewesen, als sie mit Tessa, ihrer Mutter und Mrs. Hamilton hier gelebt hatte, und ihr waren Dinge aufgefallen, die einem Kind auffallen. Vielleicht war das der springende Punkt. Sie war kein Kind mehr. Sie hatte ein Zuhause und Freunde und eine Arbeit, die ihr fehlen würden, wenn sie bei Tessa in Florenz blieb. Sie brauchte einen festen Ort, an den sie gehörte, sie war anders als Tessa, sie schwirrte nicht gern in der Weltgeschichte herum und hatte längst gelernt, sich überall einzufügen. Sie hatte nie um Aufmerksamkeit gebuhlt und verstand bis heute nicht recht, warum manche Menschen unbedingt aus dem Rahmen fallen und anders sein wollten. Sie fühlte mit denen, die anders waren, ohne es zu wollen – das Mädchen in der Schule zum Beispiel, das nach einem schlecht verheilten Beinbruch hinkte, oder die Frauen, die Briefe an Miss Parrishs Zeitschrift schrieben, lauter Frauen, an den Rand der Gesellschaft gedrängt, weil sie das Pech gehabt hatten, zu einer Zeit erwachsen zu werden, als der Krieg die Männer tötete, die ihre Ehemänner hätten werden können. Aber warum das Anderssein bewusst kultivieren? Sie sah keinen Sinn darin. Man konnte sich seine geistige Eigenständigkeit und innere Unabhängigkeit bewahren, ohne sich nach außen besonders von den anderen abzuheben.  
    Mama war anders gewesen, und was hatte es ihr gebracht? Tessa war anders, aber ohne es darauf anzulegen, es war ein Teil ihrer Natur, und sie hatte deswegen gelitten. Tessa konnte sich von dem Leben in dieser Stadt vielleicht mitnehmen lassen – Tessa war immer weltoffen und abenteuerfreudig gewesen, ein exotischer Zugvogel –, sie, Freddie, konnte es nicht. Ihre helle Haut vertrug die Sonne nicht, die Hitze ermattete sie.  
    Sie war Engländerin, war, ohne es zu merken, in den Jahren auf der Schule und in London zur Engländerin geworden, und deshalb würde sie, ganz gleich, was sie davon hielt, ganz gleich, was geschah und ob mit oder ohne Tessa,

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