Der italienische Geliebte (German Edition)
carabinieri sind gleich da drüben –«, er zeigte es mit einer Kopfbewegung, »und werden bald überall hier herumwimmeln. Das Peinliche ist, dass ich blute wie ein angestochenes Schwein und wahrscheinlich eine deutliche Spur hinterlasse. Deshalb muss ich schleunigst weg, Miss –«
»Nicolson«, sagte sie automatisch.
»Ich bin Jack Ransome.«
»Es ist mir gleich, wer Sie sind. Ich will nur zu meinem Zug.« Sie versuchte, ihm den Koffer zu entreißen, aber er ließ nicht los.
»Ganz wie Sie wollen, Miss Nicolson. Ich dachte nur, ein Gespräch würde uns die Reise angenehmer machen.«
Er zog sie mit sich die Via Fiume hinunter, zwischen hohen, imposant aussehenden Gebäuden hindurch.
»Reise?« Ihre Stimme wurde schrill. »Was soll das heißen? Von was für einer Reise reden Sie?«
»Sie müssen mich aus der Stadt hinausfahren. Ich bin angeschossen worden, verstehen Sie.«
»Ach, scheren Sie sich doch zum Teufel«, schrie sie ihn an. »Ich habe keine Zeit für kindische Spielchen.«
»Ich auch nicht. Ich kann nicht behaupten, dass ich den Krieg gern in einem italienischen Gefängnis verbringen möchte. Und das wäre noch die bessere Option.« Er nahm endlich den Arm von ihrer Schulter und zog sein Hosenbein hoch. Der Knöchel seines Fußes war dunkel von Blut. Freddie schnappte nach Luft.
»Nicht so schlimm, nur eine Fleischwunde«, beruhigte er sie. »Aber, wie gesagt, ich hinterlasse eine Spur.«
Freddie schaute hinter sich. Blutstropfen sprenkelten das Pflaster wie roter Regen.
»Kommen Sie«, drängte er.
»Nein.«
Er sah sie an. Das Blau seiner Augen war klar und kühl.
So fest, wie es ihr möglich war, sagte sie: »Es tut mir leid, dass Sie verletzt sind, aber ich weiß nicht, in was Sie da verwickelt sind, und ich möchte es auch gar nicht wissen. Wenn ich jetzt nicht zurücklaufe, verpasse ich meinen Zug. Bitte geben Sie mir meinen Koffer und lassen Sie mich gehen.«
»Das kann ich nicht. Außerdem ist es jetzt zu spät. Wenn die OVRA uns erwischt, werden sie annehmen, dass Sie meine Komplizin sind, ganz gleich, was wir sagen.«
Jetzt bekam sie Angst. Die OVRA war die faschistische italienische Geheimpolizei. Als sie die Gasse hinunterblickte, konnte sie drei Gestalten erkennen, die sich dunkel aus dem Licht hoben. Ihr Blick flog wieder zu Jack Ransome. Er konnte ein Verbrecher oder ein Verrückter sein. Vielleicht aber auch keins von beiden.
Sie zog ihren Seidenschal vom Hals und gab ihn ihm. »Wickeln Sie sich den um den Fuß.«
Sie bemerkte, wie er zusammenzuckte, als er die Wunde mit dem Schal verband. Sobald er fertig war, hakte er sich bei ihr ein und sie gingen weiter, die Via Nazionale hinauf. Er hinkte und zog bei jedem zweiten Schritt an ihrem Arm. Hinter sich meinte sie, Schritte zu hören.
Sie bogen in eine enge Straße ein. Hohe Mauern mit vergitterten Fenstern erhoben sich zu beiden Seiten. Es roch nach frisch geröstetem Kaffee und kaum wahrnehmbar nach Kloake. Jack Ransome blickte über seine Schulter zurück; als Freddie sich ebenfalls umdrehte, sah sie, dass die drei Männer noch da waren. Das Geräusch ihrer Schritte hallte von den Mauern wider.
»Verdammt«, knurrte Jack Ransome. »Ich hoffte, wir hätten sie abgeschüttelt.« Er nahm Freddie bei der Hand und begann zu laufen, im Zickzack um Radfahrer und einen Lastwagen herum, der Sandsäcke ablud, vorbei an zwei Priestern in ernsthaftem Gespräch.
Sie gelangten auf einen Markt, wo Händler mit Warenkörben auf den Köpfen durch die Gänge zwischen den Ständen eilten. Überall waren Pyramiden aus saftigen roten Tomaten und große sahnige Käseräder aufgeschichtet. Dicke Kräuterbündel welkten in der Sonne. Kurzbeinige, vierschrötige Männer priesen lauthals ihre Waren an, und schwarz gekleidete Frauen saßen hinter Tischen, auf denen bestickte Tisch- und Bettwäsche ausgestellt war.
Jack Ransome trat mit einem gewinnenden Lächeln auf eine Händlerin zu, eine Frau in einer Schürze aus grobem Rupfen, und sprach sie auf Italienisch an. Die Frau winkte sie hinter den Stand, zog ein Tuch zur Seite und bedeutete ihnen, unter den Bocktisch zu kriechen.
Es war ein Fischstand; sie hockten neben einem offenen Fass mit eingesalzenem Kabeljau, der ölige Geruch zog Freddie in die Nase.
»Was haben Sie zu ihr gesagt?«, flüsterte sie.
»Ich habe an ihre romantische Ader appelliert. Wir sind unsterblich ineinander verliebt, und Ihr Vater
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