Der Jade-Pavillon
Stapel von ihm gelegen, und sie wurden auch abgeholt, lagen aber dann unter anderem Unrat in irgendeinem Schuppen oder hatten seitenweise den Zweck erfüllt, Herdfeuer zu entfachen. Für Chang genügte das, ein ganzes Dorf zu bestrafen und zuallererst die kleinen Dorftempel einzureißen. Er ahnte schon, daß es hier in Huili nicht anders sein würde.
»Sie haben ein paar Gedichte des Großen Genossen auswendig gelernt«, antwortete Huang, sich der Gefahr bewußt, die da auf ihn zukam. »Mao Zedong ist ein großer Dichter, vor allem, wenn er die Natur beschreibt. Kein lebender Dichter kann das besser als er. Wollen Sie einige Schüler prüfen?«
»Du redest von Gedichten – ich rede von seinen politischen Worten. Hier«, Chang hielt Huang das rote Buch entgegen wie eine Faust, die Mauern durchschlagen kann, »die unsterblichen Worte des Vorsitzenden meine ich. Hast du dieses Buch?«
»Nein.«
»Haben es deine Schüler?«
»Nein.«
In dem Trupp der Rotgardisten breitete sich Unruhe aus. »Er ist ein reaktionärer Intellektueller!« rief einer aus ihrer Mitte. »Genosse Kommissar, er trägt eine Brille! Er gehört zu der Bande der Klassenfeinde.«
»Ich habe meine Schüler im Geist der tausendjährigen Tugenden erzogen: in Bescheidenheit, Freundlichkeit, gutem Benehmen, im Miteinanderteilen, in Nachsicht, Gehorsam, Disziplin, Unterordnung, darin, nicht nur den eigenen Interessen zu dienen, und in Vorsicht.«
»Und weiter?« fragte Chang.
»Diese Lehre umfaßt alle Tugenden.«
»Ein Reaktionär!« schrie wieder einer der ›kleinen Generäle Maos‹. »Genossen, er ist einer von denen, die unsere Jugend verderben! Ein geistiger Kinderschänder!«
Der Trupp Rotgardisten löste sich auf. Vier stürzten auf Huang zu und überwältigten ihn, rissen ihm fast die Arme aus, spuckten ihm ins Gesicht, zogen an seinen Haaren; einer der jungen Revolutionäre rannte in die Schule, kam mit einer großen Flasche Tinte zurück und schüttete den schwarzen Saft über Huangs Kopf. Der Rest der Truppe stürmte in das Lehrerhaus.
Chang verhinderte nichts, obwohl ein Zuruf von ihm genügt hätte, die Rotgardisten zurückzuhalten. Man hatte ihn beleidigt, und wenn es auch ein kleines Mädchen gewesen war – es hatte ihn beschmutzt. Aus dem Haus flog jetzt, sich mehrmals überschlagend, ein magerer, großer Junge, Huangs ältester Sohn Tifei, gerade fünfzehn geworden und als Fahrzeugmechaniker in der Lehre in der nahe bei Huili liegenden Kleinstadt Ningdu. Dorthin fuhr er mit einem alten Moped, jeden Tag vierzig Kilometer hin und am Abend zurück, im glühenden Sommer und im eisknackenden Winter; nur heute war er zu Hause geblieben, weil Großvater Huang Yuan, ein guter Zimmermann, die Rückwand des Stalles mit Holzlatten neu verkleiden wollte und Hilfe brauchte.
Dem durch die Luft fliegenden Tifei folgten zwei Rotgardisten, die über den halb Bewußtlosen herfielen und ihn mit Tritten peinigten. Im Haus begann ein lautes Schreien, unterbrochen von dem brüllenden Gelächter der Männer.
Lida hockte in der Ecke des Zimmers hinter einem großen Tongefäß, das halb mit ungeschältem Reis gefüllt war. Was sie sah, verstand sie nicht, und doch begriff sie es: Die Männer hatten ihre Mutter ergriffen, rissen ihr die Kleidung in Fetzen, schleppten die Schreiende, sie an Armen und Beinen festhaltend, zu dem Tisch in der Mitte des Zimmers, legten sie auf die Tischplatte und zerfetzten die letzten Stoffreste, so daß sie nun völlig nackt war. Zwei von ihnen zogen die Beine der Mutter auseinander, und dann drängte sich der erste Grünuniformierte zwischen die Beine, ließ seine Hose fallen und tat etwas, was Lida nicht verstand. Mit seinem Unterkörper stieß er immer und immer wieder zwischen die Beine der Mutter, beklatscht von den Umstehenden, und die Mutter schrie und winselte und stieß heisere Laute aus, bis sie dann ganz stumm auf dem Tisch lag und ein Rotgardist nach dem anderen sich zwischen ihre gespreizten Beine drängte und diese merkwürdigen Bewegungen machte. Neun Revolutionäre waren es, und als der letzte mit einem breiten Lachen wegging, lag die Mutter unbeweglich auf dem Tisch, ihre Beine baumelten wie knochenlos über den Tischrand, und Lida, über den Rand des Tongefäßes lugend, sah, daß ihre Brüste wie von Bissen aufgerissen waren und bluteten. Auch zwischen den Beinen lief Blut an den Schenkeln herunter.
Lida wartete hinter ihrem Versteck, bis die Rotgardisten das Haus verlassen hatten. Ganz leise und
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