Der Jadereiter
Warren und Bradley erkannten die Gefahr nicht, weil sie Fatima unterschätzten. Nach und nach hat sie sich für die Khmer zu einer religiösen Lichtgestalt hochstilisiert. Seit der Niederlage im Bürgerkrieg und dem Tod Pol Pots sind sie orientierungslos. Für sie ist sie wie die Wiederkehr der alten Zeit inklusive androgyner Schamanen und apokalyptischer Visionen. Außerdem hat sie sie alle mit Harley Davidsons und Uzis versorgt. Sie ist wie eine Kombination aus Pol Pot, dem Weihnachtsmann und einer Hindu-Todesgöttin.«
Der Verstand liebt die Wahrheit und bemüht sich, Verbindungen herzustellen, sobald alle Einzelteile vor ihm liegen. »Sie und Warren haben mich vor zwei Tagen in sein Geschäft eingeladen. Ich mußte zusehen, wie sie sein wertvollstes Jadestück und eine ganze Reihe anderer Sachen zerstörte.«
»Sie spielt mit ihm. Ich weiß nicht, was sie vorhat. Sie ist die Katze, er die Maus. Ihr gefällt das. Das Blatt hat sich gewendet.« Er hebt den Blick, das linke Lid hängt immer noch. »Letztlich spielt sie mit uns allen. Eine interessante Situation, findest du nicht?«
»Dann haben Sie also keine Ahnung …?«
»Nein. Ich weiß nicht, was sie plant. Ich habe Fatima immer auf Distanz gehalten. Sie mußte mir nur sagen, ob die Lieferungen gut angekommen und in der Stadt verteilt worden sind. Der Dummkopf Bradley merkte nicht, daß er Tag und Nacht überwacht wurde. Manche dieser Lieferungen hatten einen Wert von zwanzig Millionen Dollar. Damit meine ich übrigens nicht die Jade.« Schweigen, während er seinen Nasenflügel reibt. »Weißt du, ich mag den Drogenhandel nicht, aber irgendwie müssen wir unser Volk ja wach halten.«
»Wie hat sie das mit den Schlangen hingekriegt?«
»Sie ist eine Karen; ihr Volk verkauft den Chinesen die ganze Zeit Tiere gefährdeter Arten, und die Chinesen wollen ihre Schlangen frisch. Die Karen sind Experten, was die Beförderung lebender Reptilien anbelangt. Sie hat ihnen einfach gesagt, was sie brauchte, und ihnen Geld dafür gegeben. Wahrscheinlich reichte ein einziger Anruf.«
Er zuckt mit den Achseln. »Fatima ist außer Rand und Band, aber mit dem Video kontrolliert sie Warren. Warum sollte sie ihn umbringen, wenn sie ihn als Sklaven demütigen und ihn ganz langsam und genüßlich vernichten kann?«
»Und durch Warren hat sie auch Sie in der Hand? Ich habe Sie neulich abend in der Bamboo Bar gesehen.«
Ein verschlagener Blick. »Ach.«
»Dr. Surichai war auch da.«
Er schluckt. »Fatima möchte der Welt das antun, was ihr angetan wurde. Es geht nicht nur darum, Warren zu töten – er hat die Welt nicht erschaffen. Jetzt, da sie Warren kontrolliert, hat sie alle in der Hand. Warren bestand darauf, daß ich mir ihren Auftritt ansehe – er hat mich praktisch auf Knien angefleht –, weil Fatima das wollte, und natürlich bin ich hingegangen.«
»Das alles nur, damit Sie in dem Jazzclub ihr ›Bye Bye Blackbird‹ hören?«
»Wenn du nicht so ein verdammter Heiliger wärst, würdest du’s verstehen. Zum erstenmal im Leben hat sie alles unter Kontrolle; sie regiert die Welt. Die Menschen tun, was sie will, weil sie es sie sonst büßen läßt. Es hat ihr einen Mordsspaß gemacht, mich rumzukommandieren.«
Er beugt sich vor, um die Waffe so zu drehen, daß der Griff in meine und der Lauf in seine Richtung zeigt.
»Bring mich um, wenn du den Mumm hast. Es wäre dein Recht; ich bin schuld am Tod deines Partners.«
In dem Augenblick höre ich leise Schritte. Die junge Frau, die sich uns nähert, hat sehr kurze schwarze Haare und in jedem Ohr drei Ohrringe. Sie trägt eine Jeans und ein schwarzes Top mit Spaghettiträgern, so daß die kunstvolle Chrysanthementätowierung über ihrer rechten Brust deutlich zu sehen ist. Zuerst halte ich sie für eine seiner Töchter, doch dann fällt mir ein, daß Da, die vierte mia noi oder Nebenfrau des Colonel, ein solches Tattoo hat. Sie schenkt dem riesigen Revolver kaum Beachtung, begrüßt mich mit einem wai – Vikorns Trunkenheit registriert sie mit einem verächtlichen Blick – und fragt ziemlich kurz angebunden, ob wir einen Tee oder einen Drink wollen. Wenn nicht, möchte sie sich von Vikorns Fahrer in die Stadt bringen lassen, um sich mit einer Freundin zu treffen. Der Colonel überläßt ihr gereizt Wagen und Fahrer, und wir blicken ihr nach, wie sie barfuß in Richtung Tür tappt. Vikorn hebt leicht zitternd die Hand.
»Ein Fehler. Ich bin ein Dinosaurier, Sonchai. Mir war nicht klar, wie sehr sich unser
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