Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jadereiter

Der Jadereiter

Titel: Der Jadereiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
Vom Netzwerk:
ein angenehm benebelndes High. Die roten sind mit Dünger vermischt und setzen jede Menge Wahnsinnsenergie frei, verursachen jedoch auch einen üblen Kater am nächsten Tag.
    Auf der Plaza bestelle ich mir eine Flasche Singha-Bier, um die Pille zu schlucken, die rote. Die Nacht ist noch jung.

12
    Sie kamen aus dem Norden und dem Süden, dem Osten und dem Westen. Krung Thep war nicht nur die größte, sondern bis vor kurzem auch die einzige moderne Stadt, die wir hatten. Sie kamen aus den Ebenen und den Hügeln. Die meisten von ihnen gehörten dem Volk der Thai an, viele waren aber auch Stammesangehörige aus dem Norden, Moslems aus dem Süden, Khmer aus Kambodscha oder Birmesen, die an der Grenze lebten und sich nicht darum scherten. Sie waren Teil der größten Migration der Geschichte, der Wanderung halb Asiens vom Land in die Stadt, die sich beschleunigt im letzten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts abspielte. Männer mit von harter landwirtschaftlicher Arbeit gestählten Muskeln, Frauen mit von zahllosen Schwangerschaften geschwächten Körpern – sie besaßen jenen Mumm und Enthusiasmus, jene Naivität, Hoffnung und Verzweiflung, die nötig sind, um in der Großstadt zu überleben. Das einzige, worüber sie nichts wußten, war die Zeit, die sie nur durch die Zyklen der Natur kannten. Die sadistische Vivisektion des Lebens in Stunden, Minuten, Sekunden gehörte nicht zu den Qualen, die die Scholle dem Körper abforderte. Termine wurden zur Quelle neuer Ängste. Streß? Die städtische Version war merkwürdig fremd, heimtückisch und nicht zu bewältigen. Da half nur yaa baa.
    Die Fischereiindustrie erlag dem Einfluß der Droge als erste. Jetzt ging es nicht mehr nur darum, den Fisch vor Tagesanbruch auf die Märkte zu bringen, damit die Kunden ihn nach Hause tragen und kochen konnten, nein, heute war der Kampf um den Fang lediglich der erste Schritt in einem halbindustriellen Prozeß, in dem sich alle an die zeitlichen Abläufe des Gefrierens, Verpackens und Verschickens halten mußten; das meiste Geld brachten die Fische, die lebend an Restaurants in Japan und Hongkong, Vancouver und San Francisco geliefert wurden. Eine weitere anstrengende Arbeit war das Schuppen der Fische für die örtlichen Lokale, das zwischen ein und fünf Uhr früh erledigt werden mußte, also genau in jener Zeit, in der der Körper eigentlich nach Schlaf verlangt. Ohne yaa baa war diese Aufgabe nicht zu schaffen.
    Als nächste kamen die Lastwagenfahrer. Die schöne neue Welt erforderte ununterbrochenes Fahren vom einen Ende des Landes zum anderen. Von der Drehscheibe Bangkok aus führten die manchmal endlosen Routen nach Süden, über die Grenze und durch Malaysia bis nach Kuala Lumpur – mehr als sechzehnhundert Kilometer. Keiner machte so etwas ohne yaa baa. Auch die Bauarbeiter entdeckten die Droge für sich. Das Problem war nicht die harte Arbeit, sondern der Termindruck, die Macht des Geldes bei allen Projekten, die Nachtarbeit, die Gefahr in schwindelnden Höhen, das nächtliche Schweißen im zwölften Stock eines neuen Büro- oder Luxusapartmentgebäudes. Die Sicherheitsbestimmungen waren dürftig und wurden nicht hinreichend umgesetzt; man mußte wach bleiben, um zu überleben.
    Andere Gruppen folgten: Barmädchen, die von acht Uhr abends bis in den Morgen hinein tanzten; Polizisten im Nachtdienst; Studenten, die sich für Prüfungen wach hielten – diese Art von Streß war dem Thai fremd, und er bekämpfte sie mit Hilfe von Chemie.
    Nun äußerte sich der Fortschritt in Form unerklärlicher Gewalttaten. In Krung Thep metzelten Bauarbeiter Passanten im Blutrausch hin. Im Nordosten vergewaltigte und tötete ein süchtiger Mönch eine Touristin. Lastwagenfahrer lenkten ihre Gefährte in Gräben, Fußgängergruppen und andere LKWs.
    Offiziell geht man von ungefähr einer Million Süchtigen aus, doch ich vermute, daß die Zahl doppelt so hoch ist. Viele Arbeitgeber gestehen offen, daß sie yaa baa zu Großhandelspreisen kaufen und an ihre Arbeiter verteilen, weil diese es sich zum Einzelhandelspreis nicht leisten und ohne nicht arbeiten könnten.
    Bei yaa baa – was so viel heißt wie »verrückte Droge« – handelt es sich um Methamphetamin. Es schießt sofort ins Blut und ins Stammhirn. Geraucht ist die Wirkung noch stärker – oft führt der Genuß sogar zu Gewalttätigkeiten.
    Yaa baa läßt sich viel leichter herstellen als Heroin; selbst ein Anfänger beherrscht den Prozeß bereits nach einer Stunde. Innerhalb eines

Weitere Kostenlose Bücher