Der Jadereiter
Mädchen eine Traumwelt im Geist des westlichen Mannes auf, eine Welt, aus der man sich nur schwer lösen kann. Auch die Mädchen haben ihre Träume: den farang zu finden beispielsweise, der ein Leben lang für sie aufkommt oder sie doch zumindest in den Westen mitnimmt und es ihnen ermöglicht, ein oder zwei Jahre lang nicht von der Hand in den Mund leben, sich nicht mittels dieses entwürdigenden Gewerbes ernähren zu müssen. In der Bar drängen sich die Menschen.
Ein paar brutal aussehende junge Männer, die geschorenen Köpfe wie rosige Kokosnüsse, die Ohren gepierct wie Nadelkissen, Tätowierungen unter den Trikothemden, sitzen gebannt an der fast völlig im Dunkeln liegenden Theke. Auf der Bühne läuft gerade die Farbnummer. Die tanzenden Mädchen sind bis auf ein paar asymmetrisch auf den Körper aufgemalte Leuchtfarbenstreifen nackt. In dem ultravioletten Licht ist die Wirkung unheimlich: erotische pink- und malvenfarbene Gestalten bewegen sich geschmeidig zur Musik, einem thailändischen Popsong mit dem üblichen fröhlichen Rhythmus. Männer verfolgen, verwöhnt von anderen Mädchen, aus dick gepolsterten Nischen die Show. Auf der Fläche dazwischen drängen sich Engländer, die sich gegenseitig versichern, dies sei die billigste Bar in Pat Pong. Als ich an einer der Nischen vorbeikomme, höre ich jemanden sagen: »Komm mit mir raus.«
»Ich weiß nicht. Schwanz zu groß.«
»Das Trinkgeld ist auch groß.«
»Na schön.«
Auf der Straße sind inzwischen nicht mehr so viele Menschen unterwegs. Hier führen die Mächte des Kapitalismus zu merkwürdigen Begegnungen. Familien, die nach ihrem ersten Asienflug noch unter Jetlag leiden, bummeln durch die engen Gassen voller Kleiderstände. Frauen und Mädchen stoßen Entzückensschreie aus, wenn sie die Preise in ihre eigene Währung umrechnen, während ihre männlichen Begleiter Stielaugen bekommen. Die moralische Verwerflichkeit von Designer-Imitaten scheint das Gewissen des ehrbaren Bürgers nicht zu belasten, wenn er seine Plastiktüten mit T-Shirts von Calvin Klein, Jeans von Tommy Bahama und nachgemachten Rolex-Uhren vollstopft.
»Wenn dich das anmacht, Terry, dann laß es raus«, sagt eine kräftige Frau mit einem großäugigen, etwa siebenjährigen Jungen an der Hand gerade in bitterem Tonfall. »Aber bitte vergiß nicht, ein Kondom zu benutzen, und erwarte nicht, daß wir noch im Hotel sind, wenn du fertig bist.«
»Ich hab doch gar nicht behauptet, daß mich das anmacht, Schatz«, antwortet der (ebenfalls kräftige, fast kahlköpfige) Mann. »Ich hab bloß gesagt, ich verstehe jetzt, warum manche Männer das verführerisch finden.«
»Tja, ich begreife nicht, was daran verführerisch sein soll. Ich möchte ja nicht rassistisch sein, aber wir sind hier in der Dritten Welt.«
Ich möchte mich so schnell wie möglich aus dieser Straße der traurigen Erinnerungen entfernen, doch Eile nützt hier nichts. Es sind so viele Menschen unterwegs, die Nacht ist so heiß, die Musik so laut, und die Bilder aus den zehntausend Fernsehmonitoren wirken so aufdringlich, daß man sich an den Rhythmus aller anpassen muß: eher schlafwandlerisch als entspannt, als wären dies nicht echte Menschen, sondern Traumgeschöpfe, deren reale Ebenbilder in einem der sicheren, sauberen Vororte der westlichen Welt zwischen frisch gewaschenen Laken schlummern. Irgendwann habe ich es bis zur Silom Road geschafft, wo die nächsten eineinhalb Kilometer mit weiteren Ständen gefüllt sind. Ich winke ein Taxi heran.
Im dichten mitternächtlichen Verkehr brauche ich mehr als eine Stunde zur Khao San Road. Als ich dort ankomme, ist die Musik noch lauter. Das Taxi hat keine Chance angesichts der aus Bier- und Whiskyflaschen trinkenden, Raubkopien von Videos und CDs betrachtenden Menschenmassen. Ich bezahle den Fahrer und drücke mich aufs neue zwischen heißen, feuchten Westlerkörpern zu der soi durch, wo in fast völliger Dunkelheit das Teakhaus steht.
Ich stelle mir vor, wie der schwarze farang vor dem ohrenbetäubend lauten Irrsinn der Khao San Road, vor dem Licht, der Stadt, der Welt mit einem Seufzer in seinen ganz privaten, perfekten Kosmos in diesem nostalgischen Holzhaus aus einer fernen Vergangenheit floh. Am oberen Ende der Treppe schlüpfe ich aus meinen Schuhen und drücke vorsichtig gegen die Tür. Sie gibt nach, und ich gleite hinein wie ein Schatten.
Ich brauche einen Moment, um zu merken, daß das Licht brennt, weil es so gedämpft ist. Die alte Dame sitzt leise
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