Der Jadereiter
er mir das Ding ins Herz stoßen will und ich nach rechts ausweiche, bleibe ich ungefähr eine Minute länger am Leben als ohne Ausweichmanöver. Wenn er jedoch als Profi, für den ich ihn halte, meine Gedanken errät und ein wenig weiter nach links zielt, erwischt er mich mit einem Stoß nach oben, der so viel von Lunge und Aorta verletzt, wie mit einem einzigen Messer überhaupt möglich ist. Wir versuchen, die Gedanken des anderen zu lesen, er mit siegessicherer Miene, ich mit jener Klarheit des Denkens, die den Totgeweihten eigen ist. Ein winziges Zucken seiner linken Augenbraue verrät mir, daß er gleich zustechen wird. Ich setze auf ein Ausweichmanöver nach links. Sein Stoß erschüttert das Haus; das Messer bleibt im Holz stecken, das Visier klappt herunter. Verglichen mit meinen Problemen stellt seine nächste Entscheidung nicht wirklich eine Herausforderung dar: Soll er das Visier wieder hochschieben, bevor er das Messer aus der Wand zieht, oder nicht? Ich beobachte fasziniert, wie er beides gleichzeitig versucht, das Visier mit der Linken nach oben drückt, während er mit der Rechten an dem Messer zerrt. Hinter seinem Stoß steckte immense Wucht; das Messer hat sich so zwischen den Balken verkeilt, daß er sich mit dem Fuß gegen die Wand stemmen muß, um es herauszuziehen. Dazu sind zwei Hände nötig, und wieder klappt das Visier herunter. Allmählich bekomme ich das Gefühl, daß die Situation doch nicht ganz so dringlich ist, wie ich anfangs dachte, beschließe aber trotzdem, einen Angriff zu wagen. Ich stoße mich von der Wand ab. Das ist ein Fehler, weil ich während der Flugphase die Richtung nicht bestimmen kann. Mit einem verächtlichen Grinsen tritt er zur Seite, so daß ich mit dem Gesicht zuerst auf dem Boden lande, während er sich wieder dem Messer zuwendet, das sich schließlich löst.
Ich versuche, zur Tür zu laufen, rutsche jedoch auf dem glatten Boden aus und lande auf schmerzenden Knien. In der Annahme, daß Mr. Black nach links zielen wird, drehe ich mich nach rechts. Falsch geraten. Ich spüre, wie das Messer die rechte Seite meines Rippenbogens aufschlitzt, während ich mich mit dem Gesicht zuerst auf den Boden werfe. Die beste Verteidigungsposition ist das nicht. Es gelingt mir gerade noch, mich auf den Rücken zu rollen, bevor Mr. Black sich mit hochgeklapptem Visier auf mich stürzt. Ich hebe den linken Fuß und lasse ihn einen Augenblick in dieser Stellung verharren. Ein erstauntes Ächzen entringt sich der Brust meines Gegners, als seine Hoden gegen meine Ferse knallen und das Visier gnädig sein schmerzverzerrtes Gesicht verdeckt. Der Mann ist hart im Nehmen, das muß ich zugeben; er rollt schwer atmend zur offenen Tür. Ich höre, wie er, begleitet vom Klappern des Visiers, auf dem Hinterteil die Treppe hinunterrutscht.
Meine Knie sind durch den Sturz so lädiert, daß ich kaum aufstehen kann, und mein Blut vermischt sich mit dem der alten Frau. Ich rutsche immer noch auf dem glitschigen Boden herum, als ich höre, wie der Mann den Motor seiner Maschine anläßt und davonbraust.
Ich krieche hinüber zu der alten Frau, deren Kehle bis zu den Rückenwirbeln durchtrennt ist; dann taste ich mich zum Schlafzimmer vor. Als ich das Licht einschalte, spüre ich den Blick der Jadefrau auf mir. Diesmal gilt ihr ironisches Lächeln wohl mir.
In der Dusche rinnt mein Blut zusammen mit meiner Kraft in den Ausguß.
Nun ist der Augenblick der Wahrheit gekommen: Wem mißtraue ich am wenigsten? Anders ausgedrückt: Wer ist am schnellsten und am ehesten für einen medizinischen Notfall ausgerüstet? Der Colonel vergnügt sich wahrscheinlich in einem seiner Clubs und hat mit Sicherheit das Handy ausgeschaltet. Es hat auch keinen Sinn, den Notarzt zu rufen, weil es in Krung Thep keinen gibt. Schließlich hole ich Rosens Visitenkarte aus der Tasche und wähle seine Nummer von dem Telefon im Schlafzimmer aus. Ich spreche in kurzen, von Ächzen unterbrochenen Sätzen und lege den Hörer wieder auf die Gabel.
Ich liege auf dem Bett, das Leben entweicht aus meinem Körper. Es ist kein unangenehmes Gefühl, auch wenn mich dabei die Frage quält, was als nächstes passieren wird.
21
Fritz von Staffen war anders, das muß ich ihm lassen. Mit Mitte Dreißig hatte er keine sichtbaren Unzulänglichkeiten. Er war groß, schlank und sah gut aus, stammte aus dem Süden Deutschlands, wo etwa genauso viele Menschen braune wie blonde Haare haben. Die seinen waren fast schwarz, und dazu hatte er helle
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