Der Jadereiter
ohne jemals Geld zu nehmen? Ihr habt nie etwas in die Gemeinschaftskasse einbezahlt, aber das war nun mal so. Ich habe Leuten, die meinten, ihr leistet euren Beitrag nicht, gesagt: Jeder District braucht mindestens einen Cop, der kein Geld nimmt; wir haben Glück, bei uns gibt’s gleich zwei. Die können wir als leuchtendes Beispiel hinstellen, als reine Buddhisten, halb Mönch, halb Cop. Außerdem spricht Sonchai perfekt Englisch – was für ein Vorteil für einen District wie den unsern. Damit können wir uns jederzeit der ausländischen Presse präsentieren. Wie oft hast du schon mit Vertretern der ausländischen Medien gesprochen?«
»Oft.« Jedesmal, wenn es in District 8 einen Skandal gibt, der groß genug ist, um ausländische Journalisten zu interessieren – die Hinrichtung der fünfzehn Drogenhändler zum Beispiel –, zerrt der Colonel mich vor die Kameras.
»Du machst das perfekt. Wie lautet noch mal dein Lieblingssatz? Der ist einfach gigantisch.«
» Thailand ist ein buddhistisches Land, das die Menschenrechte und die Würde all seiner Bürger achtet, aber die wohlhabenderen Nationen der Welt sollten begreifen, daß uns nicht immer die nötigen Mittel zur Verfügung stehen, um in der Polizeiarbeit den hohen Maßstäben zu genügen, die sich nur jene Länder leisten können, welche den Prozeß der Industrialisierung als erste durchlaufen haben. «
Der Colonel klatscht begeistert in die Hände. »Toll. Hab ich dir schon gesagt, daß sogar der Polizeipräsident dich für den idealen Medienmann hält?«
»Ja. Aber eine Beförderung wird mir das nicht einbringen. Das haben Sie mir auch gesagt.«
Mein Colonel seufzt. »Sonchai, der einzige wirkliche Unterschied zwischen uns beiden ist, daß du ein Mann der Zukunft bist, während ich in die Gegenwart gehöre. Leider ist diese Gegenwart …« Er mustert ein Mädchen, das mehr Mekong-Whisky, mehr Schnecken, mehr klebrigen Reis, ein ganzes, in Honig-Chili-Sauce gebratenes Hähnchen sowie zwei Flaschen eiskaltes Kloster bringt. Die Kleine legt die Handflächen zu einem respektvollen, aber auch ein wenig koketten Gruß aneinander. Sie ist das hübscheste der Barmädchen und bedient den Chef, der ihr lachend zuwinkt, bevor er weiterspricht, am häufigsten. »Die Gegenwart ist, wie sie ist. Man muß nicht nur seine Feinde im Auge behalten, sondern auch seine Freunde, die vielleicht sogar noch aufmerksamer. In was für einem District tun wir Dienst? Leben dort Yuppies, Internet-Freaks, gesetzestreue Anwälte, Ärzte und Zahnärzte?«
Ich verpasse meinen Einsatz, weil ich gerade einen großen Bissen Hähnchen und klebrigen Reis kaue. Das Hähnchen ist für die Nährstoffe, der Reis zum Neutralisieren von Alkohol und Chili. Nie zuvor habe ich so deutlich das Gefühl gehabt, daß ich gleich kotzen muß.
»Nein, das Viertel ist eine Kloake, und für Kanalarbeiter gelten nicht die gleichen Regeln wie für Aktienhändler. Meine Leute würden mir ein ganz normales Leben nie durchgehen lassen. Einem Mann deiner Intelligenz kann ich natürlich nichts vormachen, und das versuche ich auch gar nicht. Ich bin kein Supermann, doch meine Leute brauchen einen, und dazu sind nun mal ein paar Dinge nötig …« Eine Yacht, hundert Bungalows und so weiter und so fort – ich zähle seine Besitztümer stumm auf, während er weiterspricht. »Es gibt Gangster, die den Armen Millionen geben, und ehrliche Menschen, die immer von Mitleid reden, aber nie etwas tun. Sag, Weiser, wer ist den Armen lieber?«
»Die Gangster«, krächze ich. Ich bin inzwischen so betrunken und das Gefühl in meinem Magen ist so gräßlich, daß ich fürchte, vor der Pointe in Richtung Toilette stürzen zu müssen. Diese Pointe kommt in dem Augenblick, als ich aufstehe. »Sonchai, ich schwöre dir, ich kenne keine Frau dieser Beschreibung. Wenn, hätte ich sie längst auf meine Yacht eingeladen – du kennst mich.« Der alte Mann entläßt mich grinsend mit einer Handbewegung. Während ich auf die Tür mit der Aufschrift »Herren« zuhaste, drehe ich mich einmal kurz um und sehe, wie der Colonel, ein attraktiver, vor Gesundheit und Zufriedenheit strotzender Uniformierter, das Hinterteil seines Lieblingsmädchens tätschelt, das zu ihm geeilt ist, um sein Glas aufzufüllen, sobald ich den Tisch verlassen habe.
Ich bleibe ziemlich lange in der Toilette, und als ich in die Bar zurückkehre, ist der alte Mann verschwunden. Es ist typisch für den Colonel, Diskretion und Mitgefühl zu beweisen, wenn man es am
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