Der Jadereiter
Haut. Abgesehen von seiner eleganten Kleidung war seine einzige exzentrische Angewohnheit, englische Zigaretten mit einer Bernsteinspitze zu rauchen, und das hatte Stil.
Für mich war es der erste Flug. Vierzehn Stunden im Bauch einer riesigen Maschine, dann ein hektischer Transfer vom Flughafen in einem großen beigeweißen Mercedes-Taxi. Meine Mutter stieß, den Arm des großgewachsenen Deutschen um ihre Schultern, bewundernde Geräusche aus, wie er es von ihr erwartete, während ich auf die breiten leeren Straßen hinausschaute, die genauso schwarz waren wie ihre Haare.
Wir kamen in der Nacht an, so daß die eigentliche Entdeckungsfahrt erst am nächsten Tag begann, als wir ins Freie, an die Luft traten. Und was für eine Luft! In einer Stadt hatte ich nie zuvor frische Luft wie auf dem Land geatmet. Überall üppig grüne Laubbäume! Ich hatte auch noch nie Kastanien- und Apfelblüten oder Rosenknospen gesehen. Man mußte sich fragen, ob dies wirklich eine Stadt war oder nicht vielmehr ein gigantischer Park, in den sich ein paar Wohnsiedlungen verirrt hatten. An jeder Ecke gab es einen Garten, den Englischen Garten, den Hofgarten, den Botanischen Garten – offenbar waren die Gärten für München das gleiche wie für Krung Thep der Verkehr. Und in all diesen Gärten, manchmal direkt in der Mitte, stieß man auf eine weitere Art von Garten, nämlich den Biergarten, wo man fast zwangsläufig einen oder mehrere von Fritz’ Freunden oder Bekannten traf. Mir erschienen sie anfangs wie eine kleine Armee, doch irgendwann erkannte ich, daß es sich im wesentlichen um drei Paare handelte, die dort Bier aus riesigen, schweren Maßkrügen tranken und Kartoffelsalat, Hühnchen oder Spareribs von Papptellern aßen, während Männer in Lederhosen Blasmusik spielten. Natürlich hätte ich diese nicht von Gershwin unterscheiden können, bevor Fritz mir etwas über Musik und viele andere Dinge, die ein kleiner Junge wissen muß, beibrachte.
Die Freunde von Fritz bestanden unsere Prüfungen mit Bravour, das meinte sogar Nong. Sie zeigten nicht die geringste teutonische Kälte gegenüber der braunhäutigen Frau und ihrem Mischlingssohn; in ihren Augen war kein Hinweis darauf zu entdecken, daß sie untereinander die Natur ihres Gewerbes diskutiert hatten (was sicher der Fall war). Die Frauen der drei Paare verhielten sich uns gegenüber besonders aufmerksam und erklärten meiner Mutter, wie sehr sie sich darüber freuten, daß Fritz endlich eine Partnerin gefunden habe, die sie und ihre Freunde ins Herz schließen konnten. Den Deutschen, sagte mir Nong, sei Engstirnigkeit, die Ursache für den Rassismus in vielen anderen westlichen Ländern, fremd. Sie seien Weltbürger, die mühelos kulturelle Barrieren überwanden und in die Herzen der Menschen von der anderen Seite der Erde blickten. Wären die Thais ihnen doch nur ein bißchen ähnlicher!
Wir waren im Mai angekommen, und im Juli teilte Fritz mir mit, mein Englisch sei viel besser als das der deutschen Jungen. Auch Nongs Englisch hatte sich deutlich verbessert, und Fritz neckte sie auf charmante Art: »Schatz, ich liebe es, wie du die Rs aussprichst. Wir hatten mal einen Komiker, der hörte sich genauso an wie du – er hat ein Vermögen auf der Bühne und im Fernsehen verdient.«
Fortan konzentrierte sich meine Mutter und sprach niemals mehr ein R wie ein L aus, es sei denn, sie wollte sich bewußt über den Akzent der Bar-Girls lustig machen (auch die anderen Dinge, die sie lernte, waren beeindruckend, obwohl selbst Fritz Mühe hatte, sie davon zu überzeugen, daß »Bum-Bum« nicht der Standardausdruck für Geschlechtsverkehr war, sondern eher eine Hilfskonstruktion, derer sich ein einfallsreicher Pionier bedient hatte, um die Sprachbarriere in diesem wichtigen Punkt zu überwinden).
Im Juni schnappte ich eine Sommergrippe auf, und Nong lernte ihren ersten vollständigen deutschen Satz:
»Was ist los, bist du erkältet?«
In der dritten Juliwoche machte meine Mutter mit mir einen Spaziergang im Englischen Garten, setzte sich auf eine Bank unter einem Baum, ergriff meine Hand und brach in Tränen aus. Sie lachte und weinte gleichzeitig.
»Schatz, ich kann’s kaum fassen, wie glücklich ich bin. Ich weine aus Erleichterung darüber, daß der Alptraum vorbei ist, daß ich nicht mehr … in der Nacht zu arbeiten brauche. Ich muß nie wieder zurück nach Pat Pong, wenn ich nicht will.« Auch ich empfand ein Gefühl fast religiöser Erlösung: Sie würde von nun an jede
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