Der Jadereiter
setzt einen Tritt gegen den Kopf zu langsam an, so daß es Mhongchai gelingt, Klairputs Fuß zu packen und zu verdrehen. Normalerweise würde er den Mann zu Boden oder quer durch den Ring schleudern, doch Mhongchai wirbelt ihn herum und versetzt ihm von hinten einen Ellbogenschlag gegen den Schädel. Klairput landet auf der Matte und wird vom Schiedsrichter ausgezählt. Er macht sich nicht die Mühe aufzustehen, denn er liegt nach Punkten zurück; warum also sollte er sich noch mehr Schläge einfangen? Jubel von den Zuschauern, als der Schiedsrichter Mhongchai zum Sieger erklärt. Die Leute hasten zu den Buchmachern, die sie bereits mit dicken Geldscheinbündeln zwischen den Fingern, die Knöchel als Rechenbrett, erwarten. Ich habe immer schon die Geschwindigkeit dieser Buchmacher bewundert. Vor ungefähr siebzig Jahren war ich selbst einer.
Kimberley Jones besorgt eine Cola, während wir auf den nächsten Kampf warten. Sie saugt am Strohhalm, sieht sich im Stadion um und legt mir die freie Hand auf den Oberschenkel, wo sie sie provozierende dreißig Sekunden lang ruhen läßt, bevor sie sich zu mir herüberbeugt und mir zuflüstert: »Hinter Ihnen, halb links. Warten Sie ein bißchen und drehen Sie sich dann unauffällig um.« Ich folge ihren Anweisungen und entdecke hinter uns Sergeant William Bradley mit seiner Geliebten. Zurückgelehnt in meinen Sitz lasse ich noch einmal das Bild des riesigen Schwarzen mit dem großen Popcornbehälter und der atemberaubend schönen Frau vor meinem geistigen Auge Revue passieren. Ihre Haare sind nicht mehr gefärbt; sie trägt eine grüne Seidenbluse und purpurfarbene Shorts. Nein, das ist nicht der wiederauferstandene William Bradley. Dieser Mann wirkt nicht ganz so groß wie er und körperlich nicht so imposant. Graue Strähnen durchziehen sein Haar. Unter dem Hawaiihemd zeichnet sich deutlich ein Bauch ab; sein Gesicht ist aufgedunsen. Außerdem sitzt er mit hängenden Schultern da. Ich kann mir nicht vorstellen, daß William Bradley eine schlechte Haltung gehabt hat. Allerdings ist die Ähnlichkeit unheimlich. Ich bedenke Kimberley Jones mit einem vorwurfsvollen Blick.
»Das ist sein älterer Bruder. Wir beobachten ihn seit ein paar Tagen. Er ist mit American Airlines nach Paris geflogen, dann mit der Air France nach Bangkok; er möchte nicht auffallen. Die Leute in seinem Hotel haben mir gesagt, daß er heute hier wäre – er hat die Tickets dort gekauft. Allerdings hatte ich nicht erwartet, daß die Frau dabeisein würde. Wahrscheinlich braucht sie einen Begleiter seiner Größe; die Männer starren sie alle an. Scheiße.«
Das, was ich für Neid gehalten habe, entpuppt sich als berufsbedingtes schlechtes Gewissen. Kimberley Jones wendet den Blick zu häufig nach hinten. Er trifft sich eine Sekunde lang mit dem des Schwarzen, und schon dirigiert er die Frau überraschend behende durch die Sitzreihen in Richtung Ausgang. Wir hasten ebenfalls durch den Tunnel hinaus und sehen gerade noch, wie er ihr die Taxitür aufhält und dann eiligst selbst einsteigt. Als wir den Gehsteigrand erreichen, bewegt sich der Wagen bereits die Rama IV. Road hinunter. Kimberley Jones flucht. »Ich hätte nicht gedacht, daß er hinter uns sitzen würde. Ein Kerl wie er entscheidet sich doch für einen Platz direkt am Ring.«
»Hat er Sie erkannt?«
»Nein, er weiß nicht, wer ich bin. Aber er ist ein Profi, geht kein Risiko ein. Das war keine Flucht, nur eine Vorsichtsmaßnahme.«
Ich entdecke wieder eine neue Facette von Kimberley Jones’ Persönlichkeit. Sie ist angespannt, konzentriert, diszipliniert. T-Shirt und Hot pants sind passé, als sie mit dem Handy ihren Chauffeur anweist, uns so schnell wie möglich abzuholen. Dann sagt sie: »Wir fahren jetzt zu Bradleys Haus und warten auf ihn. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er fast fünfundzwanzigtausend Kilometer weit fliegt und dann nicht beim Haus seines Bruders vorbeischaut. Bis jetzt war er noch nicht da, das weiß ich. Er wird in der Nacht dort auftauchen, damit niemand ihn sieht. Wahrscheinlich hat er sich das Kickboxen bloß angeschaut, um die Zeit bis dahin totzuschlagen.«
» Muay Thai « , berichtige ich sie, als wir in den Mercedes einsteigen.
Auf dem Rücksitz sagt sie: »William und Elijah stammen aus Harlem und haben sich für völlig unterschiedliche Lebenswege entschieden. Elijah ist groß in den Koks-, Crack- und Heroinhandel eingestiegen, schon als Teenager. Mit zwanzig war er bereits Millionär mit einer eigenen
Weitere Kostenlose Bücher